Warum ist die Diskussionskultur im Netz so furchtbar? Und was hat das mit Politik zu tun? Für den zweiten Teil zum Thema „Mein Weltbild – Dein Weltbild“ haben wir fremde Menschen davon überzeugt, uns ihren Facebook-Stream zu zeigen und uns offen davon zu berichten, wieso sie sich an politischen Diskussionen nicht (mehr) beteiligen.
Der Ton in Deutschland ist an vielen Ecken rau und fast unerträglich laut geworden, an anderen verstummt. Wir würden ihn gerne neu justieren. Mittlere Lautstärke, nicht übersteuert. Und auch die mitreden lassen, die sich sonst nicht mehr zu Wort melden, die aus dem öffentlichen Diskurs einfach rausgeflogen sind wie aus einem Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel. Weil die Redundanz sie ermüdet. Weil sie keine Lust haben, für ihre Meinung beleidigt zu werden. In unserer Politik-Recherche „Was ist los mit dir Deutschland?“ wollen wir deshalb etwas versuchen, was in der Theorie ganz einfach ist, in der Praxis aber oft nicht funktioniert: Miteinander sprechen. In der zweiten Folge haben wir genau das probiert – und zwar mit Leuten, die sich im Internet normalerweise nicht (mehr) zu Wort melden. Wir haben sie im Saarland und in Duisburg gefunden.
Hintergrund zur Recherche
1. Warum gerade dieses Thema?
Anlass nach der schweigenden Mehrheit zu suchen, war
dieser Kommentar unseres User Kreitschie (für den wir uns an dieser Stelle noch einmal herzlich bedanken wollen!):
“Ich fände folgendes auch sehr relevant und spannend: #Die_schweigende_Mehrheit oder so.
Viele junge Menschen sind z.B. ab Ende der 60er und in den 70ern auf die Straßen gegangen. Sie waren politisiert und wie selbstverständlich öffentlich positioniert. Und heute? Man hat den Eindruck, dass viele mit Politik bzw. den politischen Fragen gar nichts am Hut haben wollen. Austausch, Konflikt, Diskussion, Reibung wird nicht mehr gesucht, oder gar aus dem Weg gegangen.
Wer bei Facebook Stellung bezieht, etwa zur Einkommensungerechtigkeit, Flüchtlingskrise, kommunalen Fragen usw., der verschwindet ruckzuck aus den Streams der Facebook-Kontakte.
Ich zähle mich häufig selbst dazu. Kürzlich war ich bei einer Demonstration – und habe mich wie ein Alien gefühlt. Nicht von den Teilnehmern her, sondern… naja, ich kann’s selbst nicht beschreiben…
„Schämt“ man sich zu sehr, öffentlich und aktiv Position zu beziehen und die Diskussion zu suchen? Wofür? Warum? Was war früher anders? Was hat sich geändert? Welche Rolle spielt die Digitalisierung? Welche Altersstufen sind davon betroffen und was für weitere Folgen hängen damit zusammen? Was kann man dagegen tun?”
Die Diskussionskultur in Deutschland war sowieso ein großes Thema bei euch. Enige von euch haben sich dabei auch auf die sogenannte Filterbubble bezogen, also auf die digitale Welt, in der sie sich bewegen und in der sie von anderen Meinungen nicht sonderlich viel mitbekommen.
Wir haben versucht, diese Vorschläge unter dem Oberbegriff „Mein Weltbild – Dein Weltbild“ zu bündeln und uns dazu entschlossen zu diesem Thema zwei Videos zu produzieren: Eines, in dem wir uns explizit anhören, was Leute mit einer extremen Meinung zu sagen haben. Das war Folge 1, die Merkel-muss-weg-Demo:
Und dann eben die jetzige Folge 2, in der wir gezielt nach Menschen suchen, die ihre Meinung öffentlich eigentlich gar nicht mehr sagen, weil sie von der Diskussionskultur in Deutschland so erschlagen sind (schweigende Mehrheit).
2. Welche Schwierigkeiten traten bei der Recherche auf?
Ursprünglich wollten wir Leute finden, denen wir einen Tag lang beim Social-Media-Konsum zuschauen und anhand dessen rekonstruieren, wie sich ihr Weltbild aufbaut. Nach diesem Aufruf meldeten sich aber nur Menschen, die sehr laut sind, also selbst sehr viel in die Welt senden. Wir interessierten uns aber mehr für die anderen Leute. Dann haben wir überlegt, wo wir diese Leute finden könnten und auch, an welchen Orten nicht ständig Kamerateams auftauchen. So landeten wir in der Duisburger Fußgängerzone und im Saarland. Wir hatten am Anfang noch leichte Hemmungen, die Menschen danach zu fragen, uns ihre Facebook-Streams und sonstigen Aktivitäten zu zeigen. Aber die Leute waren echt nett. Einige haben sich sogar hinterher bei uns dafür bedankt, dass wir sie dazu angeregt haben, sich politisch mehr zu beteiligen. Für das Saarland haben wir uns bewusst den Tag der Landtagswahl ausgesucht, weil wir dachten, dass die Leute an dem Tag sowieso schon viel an Politik denken und dann vielleicht eher mit uns darüber sprechen als an anderen Tagen. Das hat auch funktioniert. Als wir dann im Schnitt saßen, haben wir erst überlegt, wie wir die Merkel-muss-weg-Demo und die schweigende Mehrheit miteinander kombinieren können. Wir haben zuerst eine Version geschnitten, in der beide Seiten auftauchen. Die Lauten und die Leisen, quasi. Aber irgendwie erschien uns das dann doch nicht so passend. Wir hatten das Gefühl, wir beschneiden damit beide Seiten zu sehr und geben der schweigenden Mehrheit nicht den nötigen Raum. Also haben wir alles wieder auseinandergefriemelt und in zwei getrennten Teilen untergebracht.
3. Was haben wir gelernt?
Tatsächlich stürzen sich Journalisten (und so auch wir) meistens auf die Menschen, die möglichst laut und provokant eine bestimmte Meinung vertreten. Am deutlichsten wird das sicher, wenn man sich eine der vielen Talkshows ansieht, aber auch in Zeitungen und Online-Publikationen wird das Phänomen deutlich. Es ist nun mal auch im Regelfall viel einfacher, mit lauten Leuten ins Gespräch zu kommen als mit leisen. Auf Facebook und anderen Plattformen wird das dann noch mal verstärkt: Menschen mit differenzierten Ansichten fühlen sich unverstanden, wenn die Lauten sie schriftlich niederbrüllen (CAPS LOCK CAPS LOCK 1einself1????).
Eine der Fragen von User Kreitschie war ja: „Schämt“ man sich zu sehr, öffentlich und aktiv Position zu beziehen und die Diskussion zu suchen?“ Inzwischen denken wir: Scham ist wohl nicht der Grund dafür, dass die schweigende Mehrheit nichts mehr sagt. Es scheint eher eine Art Resignation zu sein, das Gefühl, dass die eigene Meinung nichts zählt und man sowieso von den lauten Stimmen überrannt wird. Wir haben gemerkt, wie schade das eigentlich ist und möchten alle leise gewordenen Leute noch mal ausdrücklich dazu ermuntern, sich häufiger im Netz zu Wort zu melden. Wir brauchen eure Ausgewogenheit! Vor allem der Journalismus braucht diese Ausgewogenheit und gerade in einem Wahlkampfjahr sind eure Meinungen wichtig.
4. Was hätten wir besser machen können?
Bestimmt ganz viel. Schreibt uns eure Meinung einfach in die Kommentare oder auf Facebook, Snapchat (Name: Crowdspondent), Twitter, Instagram oder wo auch immer ihr im Netz Zuhause seid. Wir freuen uns über Kritik, Lob und Fragen zur Recherche. Besonders freuen wir uns über Leute, die uns auf Youtube abonnieren.
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