Wir haben uns überlegt, dass wir auf unserer Deutschland-Recherche ab jetzt jede Woche an einem ungewöhnlichen Ort übernachten. Den Schlafplatz bestimmt ihr. Unsere erste Station letzte Woche: Ein Bombeneinschuss-Loch auf Helgoland:
Es ist leise, verdammt leise in der Inselnacht. Wir kauern in unseren knallbunten Regenjacken in zwei geliehenen Schlafsäcken. Unter uns zwei Plastikplanen. Über uns malt der Leuchtturm Streifen in Helgolands Himmel und Hügel. Auf den ersten Blick ist es der friedlichste Ort der Welt, aber wir liegen in einem Bombeneinschuss-Loch.
Unsere Gastgeber-WG auf Helgoland fand unsere Übernachtungsidee bescheuert: „Warum lasst ihr nicht einfach heute Nacht das Fenster offen, so kriegt ihr auch frische Luft ab.“ – „Das Wetter auf Helgoland ist unberechenbar, ihr werdet frieren wie sonst was und wahrscheinlich fängt es auch an zu regnen.“ Trotz der Skepsis haben sie uns mit Decken, dicken Pullis und Planen versorgt. Wir sind auf der Insel, weil wir hier zum Thema Mikroplastik und Meeresverschmutzung recherchieren. Aber auch, weil wir das Leben hier kennenlernen wollen. Dazu gehört auch, sich an Orten herumzutreiben, die wir normalerweise nicht aufsuchen würden. Es ist unser erstes Mal auf Helgoland und heute ist die letzte Nacht, die wir hier verbringen. 5 Tage auf der Insel und du kennst gefühlt jeden: Den Müllmann, den Inselbäcker, die Biologen. Sie alle schlafen jetzt. Und wir haben gerade eigentlich auch nicht soviel Bock auf eine schlaflose Nacht.
Aufgrund der zahlreichen Warnungen der Bewohner haben wir uns auf einige ungemütliche Stunden im Bombeneinschussloch eingestellt. Die hügelige Landschaft Helgolands sieht tagsüber aus wie das Teletubby-Land. Man rechnet jeden Moment damit, dass Tinky-Winky, Dipsy, Lala oder jemand aus dem aktuellen EU-Parlamentswerbevideo der Grünen hier hervorspringt.
Operation „Big Bang“
Jetzt in der Nacht jedoch fühlen wir uns, als seien wir auf dem Mond gelandet. Keine Menschen, keine Geräusche, eine Insel im Science-Fiction-Modus. Der Einschusstrichter, in dem wir liegen, stammt aus der Zeit der großen Zerbombung Helgolands – nach dem zweiten Weltkrieg. Helgoland war damals ein wichtiger Militärstützpunkt. Deshalb wollten die britischen Alliierten die Insel und ihre Militäranlagen 1947 komplett wegsprengen: Operation „Big Bang“, bis heute die größte nichtnukleare Sprengung der Weltgeschichte. Wir liegen in den Spuren dieses Bangs und denken an einen ganz besonderen Inselbewohner: Paul-Arthur Friedrichs.
Gestern saßen wir im Wohnzimmer von Herrn Friedrichs, Jahrgang 1931. Er ist einer von 15 Männern, die 1952 als erste die Insel wieder betraten und hier alles eigenhändig wieder aufbauten. Als er damals mit einem Fischkutter ankam, war er gleichzeitig traurig und glücklich: „Nach der großen Sprengung war nur noch wenig Hoffnung, dass man überhaupt mal noch zur Insel kommen könnte. Aber meine schlimmsten Befürchtungen wurden weit übertroffen – überall Trichter, Trümmer und Hindernisse.“ Er ist der Einzige, der von diesem Aufbautrupp noch lebt. Bis heute liegt seine 62 Jahre alte Helgoland-Aufenthaltsgenehmigung in einem DIN-A 5 Erinnerungsordner. Unsere Übernachtungsidee fand er genauso bescheuert wie unsere Kurzzeitmitbewohner.
Inselverbote für Krachmacher
Dass wir hier im Trichter nichts hören außer raschelnde Gräser, liegt nicht nur daran, dass auf Helgoland offiziell nur rund 1500 Menschen wohnen und das Festland mehr als eine Stunde entfernt ist. Es hat auch damit zu tun, dass auf Helgoland viele Dinge verboten sind, die Lärm machen. Autofahren zum Beispiel. Die Insel ist geradezu lächerlich friedlich, das bestätigen auch die Bewohner. Nein, Obdachlose gebe es nicht, ja, auf den Parkbänken schliefen manchmal Leute, die es nachts betrunken nicht mehr von der einzigen Diskothek „Krebs“ bis zu ihrem Zuhause schaffen. Das störe aber auch eigentlich niemanden. Wir Schisser wollten zuerst bei der Polizei nachfragen, ob es als Erregung öffentlichen Ärgernisses aufgefasst werden könnte, wenn wir hier schlafen. Aber als wir mittags beim Revier am Hafen klingelten, war da niemand. Gibt wohl nicht so viel zu tun für die Polizei. Außer wenn Festland-Rüpel hier vorbeischauen und versuchen, die Tretroller (die sind nämlich erlaubt) der Inselbewohner zu klauen. Aber auch das fliegt im Normalfall spätestens auf dem Katamaran auf: „Schließlich wissen die Mitarbeiter der Fähre, wem hier was gehört.“
Gegen 1 Uhr nachts haben wir uns auf dem Weg zu unserem Schlafplatz gemacht, etwa 500 Meter vom Dorf weg. Für Helgoländer Maßstäbe eine ordentliche Entfernung, wenn man mit so viel Schlafzeug ausgestattet ist. Unterwegs konnten wir zum ersten Mal den Offshore-Windpark vor der Küste sehen, der nachts rot-gold leuchtet wie eine kleine Stadt. Ab nächstem Jahr sollen diese Windräder die Energie für etwa eine Million Haushalte liefern.
Einschlafen können wir heute Nacht eh nicht,“ sind wir uns recht sicher als wir ankommen und unser Deckenlager auf der feuchten Wiese ausbreiten. Wir stellen den Handywecker aber sicherheitshalber auf 8 Uhr, damit sich am nächsten Morgen nicht fünf erschrockene Helgoländer über uns beugen.
Schlafen im Dauerscan
Nach ein paar Minuten im pieksenden Gras und unter einem dreiviertelvollen Mond schlafen wir beide ein. Nicht mal der unerbittliche Dauerscan durch den Leuchtturm hindert uns daran. Das Licht streift uns, die Hügel, das kleine Dorf. Weiter unten stehen die schönen bunten Häuschen, da ist auch der Fußballplatz, gleich am Meer. Dieser Platz war eines der ersten Dinge, den die 15 Wiederaufbauer damals nach der Sprengung hochgezogen haben. „Das erste Fußballspiel auf Helgoland“, hat uns Friedrichs erzählt, „das war Hauruck gegen Steinbrecher. Im Tor von Steinbrecher stand ein Prokurist und der hatte nur ein Bein. So ist der Sport hier auf der Insel wieder losgegangen.“
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Aus dem Bombentrichter, in dem wir jetzt liegen, haben Friedrichs und die anderen Männer damals mit Eimern Wasser geholt, als sie in den ersten Monaten hier zu fünfzehnt in einer Ein-Raum- Kellerruine lebten. Teilweise mussten sie den Eimerinhalt im Winter erst mal auftauen. Um fünf Uhr wachen wir beide auf, ja es fröstelt schon ziemlich. Aber es ist so schön, dass wir trotzdem liegen bleiben und uns tiefer in die Bayer 04 Leverkusen Decke kuscheln, die uns der nette René um 1 Uhr nachts noch auf dem Speicher rausgesucht hat, damit wir nicht erfrieren. Es riecht nach Dachboden und aufgehender Sonne.
Und dann klingelt plötzlich der Wecker. Was, schon acht Uhr? Orientierungslos reiben wir uns die Augen „Hä, konnten wir tatsächlich so gut schlafen?“. Zwei Minuten später holpert auch schon der erste Spaziergänger auf einer Krücke vorbei und betrachtet uns neugierig. „Moin“ sagen wir, denn das haben wir hier so gelernt. „Gute Nacht“ sagt der Mann und verschwindet hinter dem nächsten Hügel.
Gerade sind wir in Bautzen unterwegs und recherchieren bei den Sorben. Kennt ihr hier in der Umgebung einen spannenden Ort, an dem wir schlafen könnten? Und: Wo und was sollen wir in den nächsten Wochen recherchieren? An welchen ungewöhnlichen Orten können wir dabei übernachten? Schickt uns weg! Per Facebook, Twitter oder hier, in den Kommentaren.
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