Gründen trotz Krise: Wie geht es Griechenland heute? Folge 6

Mitten in der Krise etwas Neues gründen? Maria und Joana haben das gewagt. Für Folge 6 von „Wie geht es Griechenland heute?“ haben wir die beiden Gründerinnen in Athen getroffen.

Was soll das?

Dieser Film ist Teil einer crowdfinanzierten Recherchereise durch Griechenland, bei der wir mit Menschen aus verschiedenen Altersklassen, Schichten und Städten gesprochen haben, um zu erfahren, wie es Griechenland heute geht und was die Leute in Griechenland von der Europäischen Union halten.

Alle Themen, die wir behandeln, wurden von unseren Leserinnen und Zuschauern vorgeschlagen. Neben vielen Fragen zu Themen rund um die Auswirkungen der Finanzkrise wolltet ihr auch wissen, ob und wo sich neue Dingen entwickeln. Wie sieht es mit Startups und Neueröffnungen aus? Mehrfach habt ihr uns geschrieben, dass wir lösungsorientiert berichten sollen. Jule meinte zum Beispiel:

„Ich fände es sehr interessant zu erfahren, ob auch Positives aus der Finanzkrise entstanden ist. Gibt es neue Geschäfts- oder Beschäftigungsmodelle? Neue Kleinfinanzierungsideen? Startups, die die Situation für sich genutzt haben?“

In der ersten Folge von „Wie geht es Griechenland heute?“ haben wir uns mit Menschen beschäftigt, die das Land verlassen und ihre Chance im Ausland suchen. Auch hierzu erreichte uns vor allem auf Youtube häufiger die Anregung, dass wir mehr Menschen zeigen sollen, die in Griechenland bleiben und versuchen, etwas Neues aufzubauen.

Warum ist das wichtig? 

Die griechische Wirtschaft wächst zwar derzeit erstmals seit Beginn der Finanzkrise wieder, doch dieses Wachstum fällt geringer aus als es sich die EU-Kommission erhofft hatte. Und die Wirtschaftsleistung des Landes ist immer noch um ein Viertel schwächer als im Jahr 2008. Darunter leidet auch der Arbeitsmarkt. Etwa 21 Prozent der Griechen sind arbeitslos. In Neugründungen liegt also eine große Chance für die Wirtschaft. Neue Ideen und Konzepte schaffen Arbeitsplätze. Und die sorgen wiederum dafür, dass die Griechen selbst wieder mehr Geld haben, das sie ausgeben können.

Gründerin Maria

Doch Gründen in Griechenland ist nicht so einfach: Der European Digital City Index untersucht, wie gut europäische Städte digitale Startups fördern. Athen landet auf Platz 56 von 60. Besonders schlecht schneidet die griechische Hauptstadt in den Kategorien „Digitale Infrastruktur“ und „Bedingungen des Marktes“ ab. Der Gründungsprozess ist laut der Studie schwerfällig. Auch die enorme Unternehmensbesteuerung verhindere, dass neue Firmen gegründet werden. Ein zusätzliche Innovationskiller ist, dass viele junge, gut ausgebildete Griechen das Land verlassen.

Allerdings listet die Studie auch positive Faktoren auf. Die Regierung fördere Unternehmertum besser als früher und habe bürokratische Hürden reduziert:

On the positive side, however, the financial crisis has prompted a renewed effort by the Greek Government to promote entrepreneurship. For instance, it has recently enacted new legislation to speed up registration and other official processes needed to establish a new business.

Momentan sind unter den Jungunternehmern allerdings nur wenige Griechen: 75 Prozent der neuen Gründer in Griechenland kommen laut European Startup Monitor aus dem Ausland.

Die Krise als Chance?

Natürlich gibt es in Griechenland viele Probleme, ein Beispiel ist die dramatische Flüchtlingssituation auf der Insel Lesbos, mit der wir uns in den vergangenen Wochen auseinandergesetzt haben. Doch die Krise birgt auch Chancen, davon sind zumindest die Gründerinnen der Kaffeebar „Mary Lane“ überzeugt. Maria und Joana konnten es sich dank der niedrigen Immobilienpreise leisten, das kleine Gebäude in der Athener Innenstadt zu mieten. Gerade mal 300 Euro zahlen sie daür im Monat. Aus einem heruntergeladen Ladenlokal ohne Wasser- und Stromanschluss haben sie so eine Kaffee-und-Cocktail-to-go-Bar gemacht.

Barista George vorm Mary Lane

Und sie sind nicht die einzigen Profiteure der Krise. Joana arbeitet im Hauptberuf als Architektin und berichtete uns: „Für die gesamte Baubranche sind gerade sehr gute Zeiten!“

Denn ausländische Investoren lassen die alten Gebäude in Athen aufwendig renovieren. Es entstehen vielerorts Cafés, Bars und Hotels. Ein Teil der Bevölkerung sieht diese Baumaßnahmen sehr kritisch, wie beispielsweise Rentnerin Vivian, die wir in der dritten Folge „Wie geht es Griechenland heute?“ getroffen haben. Sie findet es schlecht, dass zum Beispiel chinesische Firmen Wohnungen im Anarcho-Viertel Exarchia aufkaufen, da sie fürchtet, dass dies auf Dauer die Mietpreise nach oben treibt – ohne dass die griechische Bevölkerung davon profitiert.

Architektin Joana

Joana sieht das anders, weil sie in ihrem Arbeitsumfeld, der Baubranche, miterlebt, dass von dem Geld zumindest ein Teil bei ihr und ihren Kollegen ankommt. Sie findet außerdem:

„Wir können doch nicht einfach den Kopf in den Sand stecken! Gerade jetzt müssen wir optimistisch sein. Wenn wir uns die ganze Zeit einreden, dass alles schlecht laufen wird, dann wird hier auch alles schlecht laufen. Aber letztendlich haben wir das Ganze selbst in der Hand. Dieses Lokal hier ist nur ein Babyschritt. Aber es ist immerhin etwas. Es ist besser als das Land zu verlassen. Jede Generation hat ihre Krisen. Meine Großmutter hat beide Weltkriege erlebt. Du selbst entscheidest, wie es weitergeht. Wir müssen alle daran mitarbeiten, dass die Situation besser wird.“

Auch Landwirt Michalis, den wir in der zweiten Folge von „Wie geht es Griechenland heute?“ getroffen haben, nutzte die Zeit der wirtschaftlichen Ungewissheit dafür, sein eigenes Ding auf die Beine zu stellen. Auf seinem Öko-Bauernhof lebt er gemeinsam mit glücklichen Hühnern den Traum vom nachhaltigen Landleben.

Barista George fasst das dann so zusammen: „In der Krise haben wir gelernt, was wirklich wichtig ist. Und das ist nicht Geld.“

Und jetzt? 

Wenn ihr die nächste Folge „Wie geht es Griechenland heute?“ nicht verpassen wollt, dann abonniert doch am besten unseren YouTube-Kanal. Kurze Rechercheschnipsel von uns bekommt ihr auf Facebook, Twitter und Instagram. Wir freuen uns außerdem über Kritik, Lob und Fragen zur Recherche hier auf dem Blog oder wo immer ihr im Netz Zuhause seid.

Und zum Schluss noch eine kleine Bitte: Wir sind für den Grimme Online Award nominiert. Es gibt dabei auch einen Publikumspreis, bei dem ihr hier für uns abstimmen könnt. Wenn ihr unsere Arbeit mögt, freuen wir uns natürlich über eure Unterstützung bei der Abstimmung!

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.