Werden junge Krebspatienten in Deutschland ausreichend unterstützt? Wer in seinen Zwanzigern schwer erkrankt, hatte noch keine Möglichkeit, sich eine finanzielle oder berufliche Zukunft aufzubauen. So wie Sarah. Sie ist an Leukämie erkrankt und wurde dadurch mit 26 zur Rentnerin.
Wir haben Abgehängte gesucht und daraufhin hat sich Sarah bei uns gemeldet. Wir sind in das kleine Dorf in Rheinland-Pfalz gefahren, in das sie ziehen musste, weil sie sich die Miete in der Großstadt nicht mehr leisten kann. Und weil sie in der Nähe ihrer Eltern wohnen will, da sie alleine nicht mehr zurechtkommt. Denn Sarah leidet wie viele (ehemalige) Krebspatienten unter dem sogenanntem Fatigue-Syndrom. Das ist ein chronisches Erschöpfungssyndrom, welches dazu führt, dass Betroffene sich nur noch wenige Stunden am Stück konzentrieren können.
1. Warum gerade dieses Thema?
Wir haben zu dem Thema „Die Abgehängten“ zwei Teile gedreht, da dieser Begriff der Abgehängten seit einiger Zeit durch die Medien- und Politiklandschaft schwirrt, ohne dass klar ist, welche Leute darunter überhaupt zu verstehen sind. Wie wir ganz genau dazu gekommen sind, könnt ihr im Text zu Folge 4 nachlesen. Für die vierte Folge haben wir nämlich Kerstin getroffen, die sich ebenfalls abgehängt fühlt – weil sie psychisch erkrankt ist.
Auf die Idee uns mit jungen Krebspatienten zu beschäftigen, kamen wir durch unsere Userin Frieda. Sie hatte selbst vor ein paar Jahren Krebs und wusste aus eigener Erfahrung, dass es sehr schwierig ist, danach auf dem Arbeitsmarkt zurechtzukommen. Auch Studien zeigen, dass viele Krebskranke nicht nur gesundheitliche, sondern häufig auch finanzielle Probleme haben. Gerade für junge Leute, die sich noch keine berufliche Perspektive aufbauen konnten, ist das besonders schwierig.
Laut Robert-Koch-Institut gehört Krebs mit etwa einer halben Million Neuerkrankungen pro Jahr zu den häufigsten Erkrankungen in Deutschland und ist die zweithäufigste Todesursache. Leukämien gehören bei Erwachsenen zu den eher seltenen Krebserkrankungen im Vergleich zu Lungenkrebs zum Beispiel. Noch gibt es keine belastbaren Zahlen, wie groß das Armutsrisiko ist, wenn man den Krebs überlebt hat. Aber die wirtschaftliche Situation ist für viele Patienten ähnlich schlimm wie die Krankheit selbst: Experten, wie der Leiter des Sozialdienstes am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg, Jürgen Walther, wissen aus ihrer Praxis, dass während der Krankheit bei den Erkrankten Ausgaben heftig steigen, während die Einnahmen nach und nach zurückgehen. Das liegt auch daran, dass die Eigenbeteiligungen der Patienten gestiegen sind.
2. Welche Schwierigkeiten traten bei der Recherche auf?
Sarah kann sich, wie schon erwähnt, nur wenige Stunden am Stück konzentrieren. Aus diesem Grund haben wir beschlossen, uns mit ihr in ihrer Wohnung zu treffen und keine anstrengenden Dinge zu unternehmen. Während dem Dreh machten wir auch zwischendurch immer wieder Pausen.
Nicht schwierig war es, junge Krebspatienten zu finden, die bei dem Film mitmachen wollten. Bei uns haben sich gleich mehrere gemeldet, die von ähnlichen Problemen berichteten: Wer nicht mehr richtig Kind ist (also aus der Kinderkrebshilfe rausfällt), aber auch noch keinen richtigen Platz im Leben gefunden hat, der ist mit dem deutschen Hilfesystem schnell überfordert.
3. Was haben wir gelernt?
Die Abgehängten gibt es wirklich. Gerade wer aus irgendwelchen Gründen aus dem Arbeitsmarkt fliegt oder gar nicht dort hinein kommt, hat es in unserer Gesellschaft sehr schwer. Für Sarah und viele andere Menschen ist eine große Belastung, dass sie sich zusätzlich zu ihrem Überlebenskampf auch noch einem Kampf um ihre finanzielle Zukunft stellen müssen. Sarah hat ganze Berge von Akten bei sich daheim. Im Film sprechen wir nur ihre drängenden Baustellen an, aber zusätzlich zu den Problemen mit der Rentenversicherung muss sie sich auch immer wieder mit dem Versorgungsamt darüber streiten, welchen Grad der Behinderung sie offiziell hat.
Das ist unter anderem deswegen wichtig, weil sie mit diesem Status in einem Integrationsunternehmen eingestellt werden kann. Diese Firmen sind darauf ausgerichtet, dass sie bei einem Teil ihrer Arbeitsplätze (meist ein Viertel bis die Hälfte der Mitarbeiter) dauerhaft Menschen mit Behinderung einstellten und für die entsprechenden Arbeitsbedingungen sorgen. Einer Alternative also, wenn es aufgrund der körperlichen Einschränkungen nicht mehr funktioniert, einfach so in den Job vor der Krankheit zurückzukehren. Laut Nationalem Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg haben die meisten Krebserkrankten einen Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis (also einen Grad der Behinderung von mindestens 50) und stehen damit unter besonderem Schutz des Schwerbehindertengesetz (z.B. Kündigungsschutz). Allerdings nur, solange sie nicht als geheilt gelten. Danach muss die Schwerbehinderung neu bewertet werden.
Auf die Entscheidung über eine Anerkennung der Schwerbehinderung wartet Sarah inzwischen seit elf Monaten. Für sie sind diese Diskussionen mit den Ämtern nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine emotionale Belastung. Sarah macht sich permanent Sorgen darüber, wie es mit ihr weitergeht – was für ihre Gesundheit sicher auch nicht gut ist.
Menschen wie Sarah haben sehr wenig Einfluss. Kürzlich hat die Bundesregierung den aktuellen Armutsbericht veröffentlicht. Ein paar heikle Passagen wurden zuvor gestrichen. Darunter diese Aussagen: „Es besteht eine klare Schieflage in den politischen Entscheidungen zulasten der Armen“ und „Personen mit geringerem Einkommen verzichten auf politische Partizipation, weil sie Erfahrungen machen, dass sich die Politik in ihren Entscheidungen weniger an ihnen orientiert.“ Leute wie Sarah mit wenig Geld, aber großen Problemen, haben also wenige Chancen, politisch etwas zu bewegen. Deshalb war es uns wichtig, dass sie bei uns ihre Meinung äußern darf.
Wichtig auch: Die Abgehängten sind eine sehr heterogene Gruppe. Darunter gibt sicher ein paar Schreihälse, die laut schimpfen, aber wenig nachdenken. So jemand ist Sarah nicht. Sie hat differenzierte politische Ansichten, sie benennt klar, was sie gut findet und was sie stört. Nach unseren Erfahrungen bei zum Beispiel PEGIDA, aber auch der Merkel-muss-weg-Demo haben wir fest gestellt, dass dort eigentlich kaum Abgehängte im ursprünglichen Sinne zu finden waren. Dort waren eher Menschen, die Sorge davor hatten, abgehängt zu werden, also sozusagen subjektiv potentielle Abgehängte. Die tatsächlichen Abgehängten, die wir getroffen haben, hatten andere, essentiellere Probleme. Ihnen zuzuhören ist wichtig, denn es besteht die Gefahr, dass gerade die Leisen und Differenzierten, die wir in der Debatte so dringend brauchen, bei politischen Prozessen ausgeschlossen werden. Hierzu passt auch unser Thema „Die schweigende Mehrheit.“
4. Was hätten wir besser machen können?
Bestimmt ganz viel. Schreibt uns eure Meinung einfach in die Kommentare oder auf Facebook, Snapchat (Name: Crowdspondent), Twitter, Instagram oder wo auch immer ihr im Netz Zuhause seid. Wir freuen uns über Kritik, Lob und Fragen zur Recherche. Besonders freuen wir uns über Leute, die uns auf Youtube abonnieren.
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