Wie geht es Griechenland heute? Recherche-Update 1

Wir waren als eure Reporter sechs Wochen auf Recherchereise in Griechenland unterwegs und haben dort die von euch vorgeschlagenen Themen recherchiert. Da wir während der Reise jede freie Minute in Interviewtermine, Videodrehs und sonstige Recherche von „Wie geht es Griechenland heute?“ gesteckt haben – und nicht in Blogposts –, nehmen wir uns jetzt die Zeit, euch ein kleines Update dazu zu geben, wie wir mit den einzelnen Themen vorangekommen sind und welche Menschen wir unterwegs getroffen haben.

Bei der Themenumsetzung haben wir darauf geachtet, welche Themen sich gut für ein Video eignen (zum Beispiel: den griechischen Alltag miterleben, sich die Flüchtlingssituation auf Lesbos angucken, sich an der Uni mit Studenten über ihre Zukunftsperspektiven auseinandersetzen) und welche Vorschläge besser in Textform umsetzbar sind (zum Beispiel: griechische Steuerpolitik, Hintergrund zur Entstehung der Krise, Profiteure der Krise).

Im Folgenden widmen wir uns den Themen, bei denen wir Menschen vor Ort in Griechenland mit der Kamera begleitet haben. Zu den anderen Themen, die teilweise einen höheren Hintergrund-Recherche-Aufwand haben, werden wir einen separaten Artikel veröffentlichen.

Wichtig war uns bei der Recherche, dass wir alle Gesprächspartner, egal welchen Hintergrund sie hatten, nicht nur nach der Situation in Griechenland und den Auswirkungen der Krise auf ihr Leben, sondern auch nach ihrer Sicht auf die Europäische Union und deren Zukunft gefragt haben. Generell haben wir bei allen Interviews möglichst viele eurer Fragen gestellt, was aus unserer Sicht sehr gewinnbringend und hilfreich war. Daher noch mal vielen Dank an alle Leser und Zuschauer, die sich inhaltlich beteiligt haben! Wir hoffen, dass wir eure Ideen und Fragen so umgesetzt haben und noch umsetzen werden, wie ihr euch das gewünscht habt

Athen

Los ging die Recherchereise in der griechischen Hauptstadt Athen, in die wir zwischen den einzelnen anderen Stationen immer wieder zurückgekehrt sind.

Viele eurer Fragen waren sehr grundlegend: Wie erleben die Griechen die Krise im Alltag? Wie teuer sind Lebensmittel? Wie geht es Rentnern und Studenten?

Peter: „Hallo Lisa & Steffi, mich würde interessieren, wie es den „kleinen“ Leuten jetzt geht. D.h. die Menschen, die eher am unteren Rand der Gesellschaft leben: Wenigverdiener, Pensionisten, Studenten und so. Wie hat sich deren Leben wirklich verändert. Wie geht es ihnen jetzt, wie haben sich die Sparmaßnahmen der letzten Jahre auf sie ausgewirkt.“

Uns war es wichtig, auch diese vermeintlich kleinen Fragen zu beantworten, da sie viel über das große Ganze zeigen können. Deshalb haben wir uns auch mehrmals mit der 71-jährigen Rentnerin Vivian getroffen. Sie wohnt im Athener Anarcho-Viertel Exarchia, hat uns dort herumgeführt, uns ihre Lebensgeschichte erzählt und uns ihre finanzielle Situation und ihre Sorgen geschildert.

Außerdem waren wir einkaufen – allerdings nicht zum Spaß, sondern systematisch. Wir haben zehn Produkte im Supermarkt gekauft, die jeder Grieche jeden Tag benutzt, darunter Klopapier, Zahnpasta, Butter und Olivenöl. Wir werden die Preise dieser Produkten mit den Preisen in deutschen Supermärkten vergleichen, um aufzuzeigen, wie viel Geld im griechischen Alltag für grundlegende Dinge aufgewendet wird. Denn die Mehrwertsteuer in Griechenland wurde in den vergangenen Jahren aufgrund der Sparpolitik immer weiter hochgeschraubt und liegt inzwischen bei 24 Prozent (Deutschland: 19 Prozent), der vergünstigte Mehrwertsteuersatz beträgt 13 Prozent (Deutschland: 7 Prozent).

Viele von euch haben aber auch nach positiven Geschichten gefragt: Gibt es auch Dinge, die durch die Krise vielleicht sogar besser geworden sind? Gibt es eine höhere Solidarität? Wie sieht es mit Startups und Neueröffnungen aus? Tatsächlich gibt es in Athen derzeit sehr viele leerstehende Gebäude und geschlossene Ladenlokale. Dennoch haben wir auch Leute mit neuem Mut getroffen. Maria zum Beispiel. Sie hat die niedrigen Mieten in der Athener Innenstadt genutzt und vor vier Wochen eine winzige Kaffee- und Cocktailbar eröffnet, die so klein ist, dass darin nur der Barkeeper Platz hat – die Gäste konsumieren an der Theke. Wir durften sie und Barrista Giorgos einen Tag lang bei der Arbeit zusehen und mit ihnen über Chancen in der Krise gesprochen.

User Khalil hat uns, während wir unterwegs waren, per Twitter einen Tipp zum Thema Drogenkonsum gegeben einen Hinweis zum Thema „Drogenproblemen in Athen“ gegeben und uns in den Viktoriapark geschickt. Dort haben wir mehrere Abende lang eine Hilfsorganisation bei der Arbeit begleitet.

Lesbos

Auf der griechischen Insel Lesbos nahe der türkischen Grenze sind alleine im September 2200 Flüchtlinge angekommen – trotz EU-Türkei-Deal. Ihr wolltet von uns wissen, wie Griechenland mit der Flüchtlingssituation klar kommt, was die Griechen von dem Deal halten und wie das Verhältnis zur Türkei ist. All das haben wir versucht herauszufinden.

Dabei stellten wir fest: Das Aufnahmelager Moria ist überfüllt, der Bürgermeister der Hauptstadt Mytilini überfordert. Denn seit dem EU-Türkei-Deal müssen alle ankommenden Flüchtlinge auf der Insel bleiben, bis über ihren Asylantrag entschieden wurde – und das dauert. Moria wird dadurch immer voller, es gibt immer mehr Konflikte. Das Camp hat deshalb unter Flüchtlingen den Spitznamen „Prison“, Gefängnis. Mehr als 5000 Menschen leben dort, ausgelegt war es mal für 1800.

Während wir auf der Insel waren, lernten wir eine afghanische Familie kennen, die aus Protest gegen die Bedingungen im Camp auf der Straße lebt. In Moria herrsche Gewalt, Familien seien dort nicht sicher, sagen sie. Wer als Frau alleine duschen oder zur Toilette gehe, laufe Gefahr, vergewaltigt zu werden. Auch der Bürgermeister der Stadt bestätigte uns, dass die Situation im Camp sehr schwierig ist, es sei zudem unzureichend auf den kommenden Winter vorbereitet. Im vergangenen Winter sind aufgrund einer Kältewelle im Januar 2017 drei Menschen in Moria gestorben. Ob solche Todesfälle diesen Winter verhindert werden, ist noch unklar.

Natürlich wollten wir uns das Camp auch selbst ansehen und waren mehrfach vor Ort. Auch wenn wir mit der Kamera nicht in das Camp hineingehen konnten, haben wir von außen einen guten Einblick bekommen und konnten uns mit einigen Bewohnern unterhalten. Diese jungen Frauen haben wir auf dem Weg zum Duschen getroffen: Einmal in der Woche haben sie die Möglichkeit, in der Stadt bei einer Hilfsorganisation duschen zu gehen. Sie haben uns erzählt, dass die Situation im Camp besonders schlimm sei, da sie beispielsweise bei der Essensausgabe häufig von Männer beiseite geschubst werden und so Schwierigkeiten haben, genug zu essen zu bekommen.

Viele der Bewohner sind Frauen und Kinder, Müttern fehlt häufig Babymilch, weil sie aufgrund von eigener Unterversorgung und Stress nicht stillen können. Einige Inselbewohner haben deshalb Projekte gegründet, mit denen sie die ankommenden Flüchtlinge unterstützen. So hat beispielsweise Aris, der früher Investmentbanker war, das Warenlager Attika aufgebaut, in dem Kleidung, Babymilch, Hygienartikel, Zahnbürsten und vieles mehr für die ärmsten Inselbewohner und Einwanderer bereitgestellt werden. Wichtig ist Gründer Aris, dass er sowohl Hilfe für verarmte Griechen als auch für gestrandete Flüchtlinge anbietet, so dass nicht eine Seite gegen die andere ausgespielt wird.

Wir waren außerdem unter anderem mit Klaus von der deutschen Organisation Seawatch auf dem Meer unterwegs und haben uns die Grenzregion angesehen, waren beim Bürgermeister der Stadt und haben uns die Arbeit verschiedener Hilfsorganisationen vor Ort angesehen.

Da die Situation im Januar vermutlich eine andere sein wird als jetzt, werden wir im während der zweiten Recherchephase in Griechenland auf jeden Fall noch mal nach Lesbos zurückkehren.

Thessaloniki und Umland

Thessaloniki ist nach Athen die zweitgrößte Stadt Griechenlands, mit etwa 325 000 Bewohnern. Wir haben unsere Zeit dort genutzt, um mit Leuten unter 25 ins Gespräch zu kommen. Denn die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland liegt bei 45 Prozent. Viele von euch wollten wissen: Was macht das mit den jungen Griechen, die in eine ungewisse Zukunft sehen?

Und was soll aus einem Land werden, dessen gut ausgebildete junge Generation massenhaft in andere Länder auswandert, weil es dort bessere Jobchancen gibt? Mit diesen Fragen haben wir uns knapp eine Woche beschäftigt und zwar sowohl in der Stadt, an der Uni, als auch in einem kleinen Dorf, in dem wir eine Familie besuchen und befragen durften.

Patras

Aber wie nehmen eigentlich Leute die Situation in Griechenland wahr, die zwar vor Ort leben, aber selbst nicht Teil der griechischen Gesellschaft sind? Unsere Userin Jolyne hat sich gewünscht, dass wir in der Hafenstadt Patras im Westen Griechenlands ihre Mutter treffen, „eine deutsche Aussteigerin, die gemeinsam mit ihrem Freund auf einem Segelboot durch Griechenland reist.“

Also haben wir das Aussteigerpaar Angie und Heinz auf ihrem Boot besucht – eigentlich wollten sie uns mit auf eine kleine verlassene Insel nehmen, doch leider hat es an dem Tag so gestürmt, dass wir die Insel nicht anfahren konnten.

Kreta

Den Job hinschmeißen, die Großstadt verlassen und einfach mal Landwirt werden? Das haben in Griechenland einige junge Menschen seit Beginn der Krise getan, so auch Ökobauer Michalis, zu dem wir von seinem Bruder Makis geschickt wurden, nachdem uns Userin Eva gefragt hat, wie es der griechischen Landwirtschaft geht und ob es neue Methoden zu Selbsversorgung und Solidarität gibt, von denen Menschen in Deutschland vielleicht noch was lernen können.

Also haben wir auf Kreta, der größten Insel Griechenlands ungefähr eine Flugstunde entfernt von Athen, zwei Tage mit Landwirt Michalis verbracht, der uns das griechische Landleben nahegebracht hat. Seine Vision: Weniger Olivenbaum-Monokulturen, mehr natürliche Farmen und mehr Selbstversorger, die sich aus den eigenen Gärten ernähren.

Michalis hatte dann sogar gleich noch einen weiteren Recherchehinweis für uns: Er führte uns zu seinem Bekannten Christos, der sich ein Haus aus Stroh gebaut hat und die Idee der Selbstversorgung relativ bilderbuchmäßig zelebriert. Seine Bude braucht kaum Energie, ist perfekt isoliert und alles, was an Abfall anfällt, fließt in einen Recycling-Kreislauf. Das Schmutzwasser aus dem Klo verwendet Architekt Christos zum Beispiel, um Bananenpflanzen in seinem Garten zu düngen. Er hat uns erklärt, wie er auf die Idee kam und welche Tipps er für Selbstversorger hat.

Am Ende der ersten Recherchereise haben wir es dann noch geschafft, allen Crowdfundern, die eine Postkarte bestellt haben, diese zuzuschicken. Wir hoffen, sie sind alle wohlbehalten eingetrudelt! Die übrigen Crowdfunding-Geschenke sind ab jetzt dann auch in Arbeit.

Und nun?

Unsere erste Recherchephase ist also jetzt vorbei, wir werden jetzt das Material sichten und die Aussagen unserer Interviewpartner übersetzen und überprüfen. Anfang 2018 werden wir dann für eine zweite Recherchephase erneut nach Griechenland reisen. Wenn ihr Rückfragen oder Ideen zu einzelnen Themen habt, könnt ihr euch jederzeit bei uns melden und es gibt noch die Chance, das Ganze umzusetzen.

Wenn ihr in den nächsten Wochen nicht so viel von uns hört, bedeutet das nicht, das wir uns zum Winterschlaf zurückgezogen haben, sondern, dass wir im Material versinken. Kurze Updates und Rechercheschnipsel bekommt ihr aber weiterhin auf Facebook, Twitter und Instagram. Unser Youtube-Kanal dagegen bleibt tatsächlich erst mal im Winterschlaf und zwar so lange, bis die Videos fertig sind. Wer diesen Zeitpunkt nicht verpassen will, abonniert den Kanal am besten schon mal.

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