Über Nacht im Kloster: „Seid ihr die neuen Nonnen?“

Jede Woche übernachten wir in eurem Auftrag an einem ungewöhnlichen Ort. Für den dritten Teil unserer “Schickt uns schlafen”-Kolumne haben wir an einem Ort übernachtet, an dem wir die Nacht wohl freiwillig niemals verbracht hätten: In einem Kloster.

Nachts in der Kapelle

Steffi nachts in der Kapelle

Wer hier zum Übernachten vorbeikommt, hat oft große Sorgen. Aber das wissen wir noch nicht, als wir auf das dominikanische Frauenkloster Arenberg zulaufen, in dem wir diese Nacht verbringen werden. „Sieht aus wie ein Enid-Blyton-Mädcheninternat, auf das auch Hanni und Nanni gehen könnten.“ flüstert Lisa. „Stimmt“ flüstert Steffi, „aber warum flüstern wir eigentlich?“ Wie verhält man sich überhaupt in einem Kloster? Wir fühlen uns relativ unheilig. Unser Übernachtungsort wurde wie immer von den Lesern bestimmt. Claudia hat uns per Twitter ins Kloster in Koblenz geschickt. Wir mochten die Idee, weil es wohl der letzte Ort wäre, an dem wir freiwillig übernachten würden.

Wie ein Mädcheninternat: Das hier ist das sogenannte Mutterhaus des Klosters.

Wie ein Mädcheninternat: Das hier ist das sogenannte Mutterhaus des Klosters. Hier leben die Nonnen.

Welche Geheimnisse birgt die Klosternacht? Das hier ist kein gewöhnliches Kloster. Es wirbt auf seiner Internetseite neumodisch mit einem „Time-Out“ für Besucher. Es gibt eine Sauna, eine Paartherapeutin und einen Raum der Stille. Das klingt nach einer Mischung aus Gott und Wellness. Nach einer teuren Mischung: Etwa 100 Euro kostet die Nacht pro Person. In der Vitrine am Eingang begrüßt uns das Buch „Erleuchtung in der Kaffeetasse“. Ist das hier ein Ort für Esoteriker und Superchristen oder werden wir uns wohl fühlen?

Schwester Beatrix im normalen Outfit...

Schwester Beatrix im normalen Outfit…

Schwester Beatrix kommt auf uns zu. Sie gehört zur Hausleitung. Großes Lachen, weißes Nonnengewand, Rosenkranz auf Hüfthöhe. Sie erzählt uns, dass wir sie eigentlich kennen müssten. Aus dem Fernsehen. Sie sei bekannt als die Fußballnonne, die zum WM-Finale Freibier für alle ausgeschenkt hat und mit einem schwarz-rot-goldenen Fanschal für einen ZDF-Reporter kluge Tipps an Jogi Löw gegeben hat (Edit: Link ist leider inzwischen abgelaufen, aber wir konnten einen Screenshot sichern!). Schwester Beatrix ist das Gegenteil von leise. Trotzdem empfiehlt sie uns, hier mal etwas zur Ruhe zu kommen. Wir gehen zur Meditation, wo wir auf die Nacht eingestimmt werden sollen.

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… und Schwester Beatrix als Fußballnonne mit Spezialmütze. (Quelle: Screenshot ZDF-Beitrag)

Eine halbe Stunde stillhalten, schweigen und bestenfalls nichts denken. Wir versuchen es. Aber wir sind die Unruhigsten im Raum. Vielleicht bessert sich das beim stillen Abendessen: Im Essenssaal (Zucchinisalat, Pellkartoffeln, Wackelpudding) gibt es einen Bereich für Menschen, die keinen Bock auf Reden haben. Wir setzen uns zu ihnen. Unsere Sitznachbarin begrüßt uns mit den Augen, das Paar am Nachbartisch kommuniziert, indem es mit den Fingern Wörter auf die Tischdecke malt. Schwester Beatrix erzählt uns danach, warum die Menschen hierherkommen. Trauer, Beziehungsnöte, Mobbing, gestresstes Managerleben. Hier können sie sich zurückziehen. Wer auch außerhalb des Essens den Mund halten will, kriegt einen „Schweigebutton“. Der signalisiert den anderen Gästen „Sprich mich nicht an!“. Wir gewöhnen uns langsam an die Ruhe.

Im Selbstfindungsmodus: Lisa im Raum der Stille.

Im Selbstfindungsmodus: Lisa im Raum der Stille.

Warum ist es so wichtig, dass es hier still ist? „Damit der Mensch nach innen schauen kann. Wir kennen nämlich nur das Laute“, sagt Schwester Beatrix. Deshalb sei es auch wichtig, über Nacht zu bleiben. Abends vorm Schlafengehen soll man noch einmal den Tag durchgehen und seine Sorgen ablegen.

Sie empfiehlt uns, auf die Dachterrasse und in den Klosterkeller zu gehen. Auf der Dachterrasse gibt’s den Sonnenuntergang, im Klosterkeller den Alkohol. Oben sitzen die Frauen, unten die Männer. Wobei unter den Klostergästen viel viel mehr Frauen sind, vielleicht weil es von Nonnen geleitet wird. Die Gäste sprechen über ihre tödlichen Krankheiten, über ihren Glauben und über Menschen, die sie verloren haben. Zwischendrin lachen sie manchmal. Um elf kommt eine Schwester runter in den Keller. Nachtrundgang. „Der Letzte macht das Licht aus“, ermahnt sie alle im Rausgehen. „Ja ja, wie damals bei Honecker“, antwortet einer der Gäste.

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Sind die eigentlich alle gläubig? Schwester Beatrix sagt, das sei egal. „Wer kommt, ist da. Ob katholisch, ob homo, verheiratet oder nicht. Wir fragen da nicht nach.“ In einer Zeit, in der die katholische Kirche mit Imageproblemen, Missbrauchsskandalen und Kirchenaustritten kämpft, strömen hier die Ich-Suchendenden vorbei. 99 Betten gibt es, fast 90 sind an diesem Wochenende belegt. Die Leute, die herkommen sind zwischen 20 und 100 Jahre alt. Christian Wulff war auch schon mal hier. Von ihm hängt ein Foto am Kaninchenstall.

War auch schon mal hier: Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff ist am Kaninchenstall immer noch präsent.

War auch schon mal hier: Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff ist am Kaninchenstall immer noch präsent.

Als das Kloster vor über zehn Jahren umgebaut wurde und der Wellness-Bereich dazukam, haben sich einige Nonnen gefragt, ob das in Ordnung ist: „Werden wir jetzt eine Spaßgesellschaft?“ Schwester Beatrix sagt, damals wurde entschieden, dass man hier nicht den eigenen Untergang verwalten will, sondern was Neues ausprobieren möchte. Alles etwas ungewöhnlich für die katholische Kirche. Gehen die Nonnen eigentlich auch in die Sauna? Nackt? Ja, aber erst wenn die Gäste im Bett sind.

Wir besuchen unsere letzte Station vor dem Schlafengehen: Die Kapelle auf dem Dach aus Beton und Glasbausteinen. Sie hat die ganze Nacht geöffnet. „Wissen Sie, wem sie nachts begegnen?“, hat uns Schwester Beatrix am Mittag gefragt und dabei zum ersten Mal geflüstert. „Auf Socken schleicht er über die Gänge in die dunkle Kapelle.“ Die Rede ist von ihrem „Lieblingsatheisten“, wie sie ihn nennt. Ihn treffen wir in dieser Nacht nicht. Dafür finden wir das Versöhnungsbuch, in das Menschen ihre traurigsten Gedanken kritzeln. Wer sie da nicht los wird, kann es am nächsten Tag an der Klagemauer etwas dauerhafter und mit Feuerhilfe versuchen. Die Klagemauer ist eine Steinmauer, in der die Gäste ihre Zettel mit Trauergeschichten stecken können. Sie werden alle an Ostern verbrannt. Manche Leute kommen nach Ostern extra zurück ins Kloster, um zu schauen, ob der Zettel auch wirklich weg ist und fühlen sich irgendwie erleichtert, wenn ihre Sorgen verbrannt wurden.

Links: Schwester Beatrix und Lisa im Klosterpark. Rechts: Steffi liest nachts im "Versöhnungsbuch."

Links: Schwester Beatrix und Lisa im Klosterpark. Rechts: Steffi liest nachts im „Versöhnungsbuch.“ War nett, aber Nonne werden? Nein, danke.

Unten, im Zimmer, ist das Kloster wieder eher Hotel. Nur mit Kreuz über dem Bett und frommen Spruch auf dem Kopfkissen. Für Schwester Beatrix ist die Nacht normalerweise um 5:15 Uhr vorbei. Morgengebet. Diese Nacht bleibt sie liegen, dienstags darf sie ausschlafen.

Als wir das Kloster verlassen, fragt uns ein Mann „Na, im Kloster abgechillt?“ -„Wir haben da gearbeitet,“ sagen wir. „Seid ihr die neuen Nonnen?“ Nee, die Nacht war schon überraschend ok, aber soweit wird es nicht kommen.

Dieser Text war Teil einer wöchentlichen Kolumne, die nicht nur auf unserem Blog, sondern auch hier auf jetzt.de von der Süddeutschen Zeitung erschienen ist.

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