Welche Partei ist am schlechtesten auf Neuwahlen vorbereitet, Martin Fuchs?

Martin Fuchs, Politikberater. (Bildquelle: Martin Fuchs)

Wie schlimm war das Philipp Amthor-Video wirklich? Wie tief wird die SPD noch fallen? Und was, wenn die GroKo morgen crasht? Wir haben Politikberater Martin Fuchs mit Fragen zu Neuwahlen, Fridays for Future und der politischen Selbstinszenierung gelöchert.

Crowdspondent: Martin, dein Tipp: Wann müssen wir mit der nächsten Bundestagswahl rechnen?

Auch wenn ich keine Glaskugel habe, gehe ich davon aus, dass die GroKo das Jahr 2019 nicht überleben wird. 

Ich denke, die Union wird bis Mitte nächsten Jahres als Minderheitsregierung weitermachen: Sie wird sich bis dahin wechselnde Mehrheiten organisieren müssen.

Das finde ich extrem spannend. Ende 2020 wird es dann Neuwahlen geben, um die Stabilität des Landes in politisch unsicheren Zeiten nicht zu gefährden.

Hui, das ist ja eine ziemlich konkrete Prognose! Ist AKK bis dahin Merkel genug, um Kanzlerin zu werden?

Ich weiß nicht, ob AKK so werden muss wie Angela Merkel – aber ich glaube dass die Verteidigungsministerin das Standing und Rüstzeug hat, um Kanzlerin zu werden – trotz all der Fehler und Missgeschicke, die ihr bisher unterlaufen sind. Fehler machen ist kein Makel und sollte jeder Spitzenpolitiker*in erlaubt sein, wenn sie daraus lernt. Das ist ein wichtiger Reifungsprozess für die Übernahme des wichtigsten deutschen Staatsamtes. 

Du berätst Parteien in ihrer digitalen Kommunikation. Wie peinlich fandest du als Profi die Reaktionen der CDU auf das Rezo-Video?

Wenn ich an die Antworten der CDU auf das Rezo-Video denke, zweifle ich an dem, was ich jeden Tag tue. Alles, was da schief gelaufen ist, versuche ich den Leuten seit Jahren zu erklären. Auf der einen Seite frustriert mich das, auf der anderen Seite werde ich so nie arbeitslos. 

Hast du eigentlich das Antwortvideo von Philipp Amthor gesehen?

Ja. Dazu kann ich nur soviel sagen: Ich war vorher schon der Meinung, dass so ein Video keine gute Idee ist. Danach war ich davon sogar noch überzeugter.

Was hätte die Partei besser machen müssen? 

Um zu verstehen, was die Youtuber-Szene bewegt, hätte sich die CDU schon Jahre vorher mit ihr auseinandersetzen müssen. In dem konkreten Fall wäre ich als AKK und Paul Ziemiak (Generalsekretär der CDU, Anmerkung der Redaktion) nach Aachen gefahren und hätte mich in das Kinderzimmer von Rezo gesetzt und mit ihm geredet – ohne Öffentlichkeit, ohne Medien. 

Dann hätten sie vielleicht verstanden, was so viele junge Menschen aufregt: Dass die Regierung Bewegungen wie Fridays for Future oder die Protestaktionen gegen Artikel 13/17 am langen Arm verhungern lässt – nach dem Motto „Protestiert ihr mal schön, wir machen in Berlin und Brüssel weiter, was wir wollen.“

Dass Parteien die junge Generation nicht ernst nehmen, ist leider nichts Neues. Die Politik hört auf sie grundsätzlich zu wenig. Das liegt am System: Sie sind einfach keine relevante Wählerschicht.

Du hast eben schon selbst Fridays for Future angesprochen. Eigentlich ein klassisches Grünen-Thema und die prominenteste FFF-Vertreterin Luisa Neubauer ist ja auch Mitglied der Partei. Trotzdem sitzt sie als Aktivistin in den Talkshows, nicht als Grüne. Das ist ja strategisch schon ganz clever, oder?

Anders würde es nicht funktionieren: Hätte man Fridays for Future als Partei aufgezogen, wäre die Bewegung nicht so groß geworden. Ich nehme Luisa Neubauer und den anderen Akteur*innen aber ab, dass dahinter kein parteipolitisches Kalkül steckt. Wären die Grünen an der Regierung, würden sie sich für das Thema einsetzen, als Oppositionspartei mit 8,7% haben sie dazu aber keine Möglichkeit. Dass die Grünen im Hintergrund die Fäden bei FFF ziehen ist aus meiner Sicht eine Verschwörungstheorie. 

Der Hintergrund ist viel simpler: Die Jugend ist frustriert und deshalb steht sie auf. Natürlich gibt dabei auch parteipolitische Verbindungen, das ist aber immer so: Es gibt einfach so 5000 bis 10 000 engagierteMenschen in Deutschland, die immer wieder in bestimmten Kontexten auftauchen, weil die die Aktiven sind, die versuchen, Gesellschaft zu ändern und zu verbessern. 

Quelle: Internet. (Nein Spaß, Quelle: Martin Fuchs)

Vor der letzten Bundestagswahl haben wir für „Was ist eigentlich los mit dir, Deutschland?“ die politischen Ideen und Fragen unserer User eingesammelt – und Klimaschutz war weder für unsere User*innen noch für das restliche Medien-Deutschland ein Thema. Jetzt starten wir in eine neue Staffel und mehr als eine Million Deutsche gehen fürs Klima auf die Straße. Welche anderen wichtigen Themen vernachlässigen Journalisten aktuell und könnten auch wir leicht übersehen?

Auf jeden Fall das Thema Einsamkeit: Wir denken, wir sind total vernetzt und kennen so viele Menschen, aber das soziale Miteinander ist abhanden gekommen. Das sieht man auch an der Diskussionskultur im Netz: Menschen wollen gehört werden. 

Interessant, dass du das Wort „sozial“ ins Spiel bringst – eigentlich klassisches SPD-Vokabular. In unserem letzten Gespräch 2017 hast du gesagt, dass die Partei richtig tief fallen muss, um sich zu regenerieren. Seitdem ist die SPD gefühlt im Dauerfall, aber von Regeneration ist immer noch keine Spur …

Es geht bei dem Fall, den ich meinte, weniger um Zahlen. Es geht darum, dass die Partei begreift, dass sie vor existenziellen Fragen steht. Und das hat die Spitze mittlerweile begriffen. Vielleicht brauchen wir aber in Deutschland auch überhaupt keine zweite Volkspartei mehr, weil die Menschen auf dieses Konzept keine Lust mehr haben. Einthemenparteien wie die Grünen, die FDP und die AfD waren in den letzten Jahren erfolgreich, weil sie mit ihrem einen Hauptthema viele Leute mobilisieren konnten.

Die FDP ist aus unserer Sicht ja eher eine Einmannpartei als eine Einthemenpartei … Immerhin kennt sich das einzige öffentlich sichtbare Mitglied ganz gut mit dem Internet aus: Hast du den Podcast von Christian Lindner schon mal gehört?

Ich höre ihn fast jedes Mal. Das ist eine großartige Idee. Nicht weil jeder jetzt einen Podcast braucht, sondern weil man sich mit dem politischen Gegner auseinandersetzen sollte. Lindner lädt ja Politiker*innen wie Dorothee Bär, Dietmar Bartsch oder Aktivist*innen wie Luisa Neubauerein und redet eine Stunde konstruktiv über Politik. Sogar ich als Politiknerd lerne dabei immer noch etwas. 

Aber ist diese Selbstinszenierung und Selbstbefragung der Politik nicht auch eine Gefahr? Lindner ist ja nicht der Einzige: Jens Spahn ist auch auf Instagram sehr aktiv und selbst Philipp Amthor hat kürzlich bei Markus Lanz verkündet, dass er jetzt seine eigene Berichterstattung macht.

Auf jeden Fall. Es ist deshalb eine wichtige Aufgabe der Medien, diese PR-Strategien kritisch einzuordnen und auseinanderzunehmen. Jeden Tweet einer Politiker*in zu kommentieren ist kompletter Schwachsinn. Aber Journalist*innen sollten sich stärker mit den Inhalten beschäftigen: Sind die Dinge, die Jens Spahn auf seinem Kanal als positiv darstellt, wirklich so toll? Journalist*innen müssen Politiker*innen dazu zwingen, in andere Formate zu gehen und zu erklären, warum er gewisse Themen aufgreift.

Als wir das letzte Mal über Politik gesprochen haben, war für dich die AfD die Partei, die es durch ihre Social Media Strategie am besten geschafft hat, viele Leute zu erreichen. Und heute?

Das macht sie auch weiterhin richtig, um ihr Ziel zu erreichen, ihr Wählerklientel zu mobilisieren. Was im EU-Wahlkampf deutlich sichtbar war: Sie erreichen von allen Parteien online die meisten Menschen – und das sogar ohne Facebook-Werbung. Aber mittlerweile sind sie an eine gläserne Decke gekommen. Sie haben ein Wählerpotential von etwa 14-15 Prozent würde ich sagen, im Osten etwas höher. Aber über diese Gruppe von Menschen mobilisieren sie nicht weiter. Und eine zunehmende Radikalisierung würde auch eher dazu führen, dass sie Wähler*innen verlieren. 

Die Linke dagegen ist bei den letzten beiden Ost-Wahlen vollkommen abgeschmiert und auch sonst merkwürdig unsichtbar. Was läuft da schief?

Die LINKE hat sich in den letzten Jahrzehnten zu sehr von ihrer eigentlichen Rolle als ostdeutsche Protest und Kümmererpartei entfernt, allein schon weil sie nun eben in Koalitionen Regierungspolitik gemacht hat. Dabei hat sie die eigentliche Wählerbasis teilweise enttäuscht, zudem sind viele Ihrer klassischer Wähler*innen ganz plastisch weggestorben und sie hat es nicht geschafft neue Milieus zu erschließen. Die Strategie, das urbane, links-liberale Klientel zu erreichen, kann wohl aktuell als gescheitert bezeichnet werden. 

Angenommen, die GroKo crasht von jetzt auf gleich und in 21 Tagen gibts vorgezogene Neuwahlen: Welche Partei ist aus deiner Sicht dafür derzeit am schlechtesten aufgestellt?

Ich glaube, Neuwahlen zum jetzigen Zeitpunkt wären für alle Parteien ein extremer Kraftakt, aber insbesondere CDU/CSU und SPD sind gerade eher schlecht aufgestellt. 

Die CDU-Führung ist erst frisch im Amt, die SPD hat momentan keine wirkliche Führung. Beide Parteien stehen in Umfragen schlecht da und ihnen fehlt Geld. Standard im Wahlkampf ist eine gefüllte Kriegskasse von ca. 20 Millionen Euro. Alle anderen Parteien haben wesentlich geringere Budgets und sind von der Organisation her schlanker aufgestellt. Insbesondere die Grünen könnten von Neuwahlen aktuell am stärksten profitieren.

Aber auch die AfD ist im nun beginnenden Auseinanderbrechen zwischen völkischem Flügel und gemäßigten Konservativen strategisch nicht besonders gut aufgestellt. Das zeigen die Zerwürfnisse in vielen Landesverbänden, die aktuell nur von den Erfolgen im Osten überstrahlt werden. 

Glaubt ihr auch, dass es bald zu Neuwahlen kommt? Wir freuen uns über eure Meinungen! Übrigens: Nicht nur die Kassen von SPD und Union sind leer, auch wir benötigen noch Geld, um unsere Recherchen zu finanzieren. Wenn dir dieses Interview gefallen hat, teile den Artikel und unterstütze uns auf steady. Denn ab jetzt sind wir wieder für euch im politischen Deutschland unterwegs und recherchieren eure Themen

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