Jung, gebildet, arbeitslos: Wie geht es Griechenland heute? Folge 1

Stell dir vor, die Hälfte der Menschen in deinem Alter wäre arbeitslos. So ist die Situation für Studenten in Griechenland. Was denken sie über ihre Zukunft? Und glauben sie noch an die EU? Das seht ihr in Folge 1 von „Wie geht es Griechenland heute?“

Was soll das?

Dieser Film ist Teil einer crowdfinanzierten Recherchereise durch Griechenland, bei der wir mit Griechen aus verschiedenen Altersklassen, Schichten und Städten gesprochen haben, um zu erfahren, wie es Griechenland heute geht.

Alle Themen, die wir behandeln, wurden von unseren Lesern und Zuschauer vorgeschlagen. So auch dieses:

Ronjas Fragen haben wir mitgenommen nach Thessaloniki, mit 325 000 Einwohnern Griechenlands zweitgrößte Stadt. An der Aristoteles Uni waren wir mit dem Griechisch-Studenten Giorgos verabredet. Wenn ihr Crowdspondent schon länger kennt, wisst ihr, dass nicht nur unsere Themen, sondern auch unsere Gesprächspartner oft aus der Crowd kommen. In diesem Fall haben wir von Florian den Kontakt zur Athenerin Elina bekommen, die uns an ihren Bekannten Stavros aus Thessaloniki weitergeleitet hat, der uns wiederum Giorgos vermittelt hat. Von ihm und den anderen Studenten wollten wir wissen, welche Zukunftspläne sie haben und wie sie zu Europa stehen.

Warum ist das wichtig?

Wir haben dieses Thema ausgewählt, weil es für Griechenland ein essentielles Problem darstellt, dass die Zukunft das Land verlässt. Gerade junge und gebildete Griechen zieht es mangels beruflicher Chancen ins Ausland. Bei einer Arbeitslosigkeit von über 40 Prozent unter jungen Erwachsenen und vergleichsweise niedrigen Löhnen suchen sie sich ihre Perspektiven lieber im Ausland. Und das hat nicht nur Auswirkungen auf die griechische Wirtschaft, sondern auch auf Deutschland und die EU als Ganzes.

427 000 Griechen haben das Land seit 2008 verlassen und das bei einer Gesamtbevölkerung von gerade mal 11 Millionen Einwohnern. Problematisch ist, dass häufig die Bessergebildeten gehen, beispielsweise Wissenschaftler oder Ärzte und die Jungen, also Studenten. Dieses Abwandern von Talenten bezeichnet man als „Brain drain“.

Am liebsten gehen die griechischen Auswanderer nach Deutschland und Großbritannien. Das heißt: Deutschland profitiert von der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland, weil wir – ein Land mit sinkender Geburtenrate – dadurch qualifizierte Arbeitnehmer bekommen.

Dimitris studiert an der Uni in Thessaloniki. Nach seinem Studium will er aus Griechenland wegziehen.

Dimitris studiert an der Uni in Thessaloniki. Nach seinem Studium will er aus Griechenland wegziehen.

Gleichzeitig fühlen sich gerade die jungen, gebildeten Griechen besonders von der EU im Stich gelassen. Die Mehrheit der Studenten, mit denen wir gesprochen haben, glaubt nicht oder nicht mehr an die Europäische Union. Das passt zur allgemeinen Stimmung in Griechenland: 2017 erschien eine Studie zur Beliebtheit der EU, in der etwa zwei Drittel der Griechen die EU negativ bewerten, 26 Prozent wollten gar einen Grexit. Griechenland war auch das Einzige unter den befragten Ländern, in dem die Mehrheit der Befragten der Ansicht war, dass der Brexit eine gute Sache für das Vereinigte Königreich sei. Der zugegebenermaßen sehr subjektiver Eindruck von den Interviews mit Studenten war, dass die Stimmung dort eher noch negativer war als unter den älteren Griechen. Doch was für eine Zukunft hat eine EU, die von den jüngsten Mitgliedern nicht mehr getragen wird?

Am liebsten würden die Studenten in ihrem Heimatland bleiben. Laut einer Studie von Wissenschaftlern der University of West London sind im Falle Griechenlands vor allem sogenannte Push-Faktoren verantwortlich für den Brain drain.

„The economic situation in Greece, including nepotism, lack of opportunities, corruption and lack of work with low wages and other work-related reasons have been the main reasons the participants in the study decided to live and work abroad. It is evident from the above that the push factors have played a stronger role that pull factors.“

Das heißt: Die jungen Griechen gehen, nicht, weil andere Länder so eine starke Anziehung auf sie ausüben („Pull“), sondern weil sie sich von ihrem eigenen Land so sehr weggestoßen fühlen („Push“). Das liegt laut der Studie nicht nur an mangelnden Möglichkeiten und schlechter Bezahlung, sondern auch an Vetternwirtschaft und Korruption, ein Thema mit dem wir uns in anderen Folgen von „Wie geht es Griechenland heute?“ noch auseinandersetzen werden.

Im Hörsaal der Uni Thessaloniki

Im Hörsaal der Uni Thessaloniki

Die Studien warnen vor den Auswirkungen des Brain drains: Wenn die klügsten Köpfe gehen, wer soll dann das Land nach vorne bringen, Innovationen starten, Arbeitsplätze schaffen, Politik machen? Andererseits liegt in den Auswanderern auch eine Chance: Dann nämlich, wenn sie zurückkehren und neue Ideen, Geschäftsmodelle und Technologien aus anderen Ländern mitbringen. Nach solchen Zurückwanderern, die eine eigene Geschäftsidee umsetzen, haben wir ebenfalls gesucht – und sie in Athen gefunden. Aber das seht ihr dann in einer anderen Folge von „Wie geht es Griechenland heute?“

Und jetzt?

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