Japan-Berichterstattung: „Die Redaktionen interessieren sich nur für Skurriles und Katastrophen“

Fritz Schumann, 27, hat von 2009 bis 2010 als Fotojournalist in Tokyo gearbeitet und von 2013 bis 2014 ein Studienjahr an der Hiroshima City University absolviert. Er hat inzwischen drei Bücher über Japan veröffentlicht, das aktuellste heißt „Japan 151“ und ist ein kultureller Reiseführer. Fritz hat sich per Twitter bei uns gemeldet, als er von unserem Crowdfunding erfahren hat. Daraufhin haben wir bei ihm angerufen.

So sieht Fritz aus

Fotojournalist Fritz Schumann

 

Fritz, hältst du es für eine gute Idee, dass wir nach Japan gehen wollen?

Klar! Aber ihr solltet ein paar Dinge beachten. Ich finde nämlich, dass die deutsche Berichterstattung aus Japan einiges besser machen könnte…

Zum Beispiel?

Oft kommen deutsche Korrespondenten nur für zwei Wochen nach Japan geflogen, weil irgendetwas Aktuelles passiert ist und sie kratzen mit ihren Geschichten dann leider nur an der Oberfläche. Hinterher liest man dann den Text oder guckt sich den Beitrag an und denkt: „Die Japaner sind so merkwürdig.“ Aber warum sie merkwürdig sein sollen, das wird nicht erklärt. Ich würde mir wünschen, dass ihr erklärt – dass ihr nicht nur aufzeigt, was es gibt, sondern auch, warum Dinge in Japan so laufen, wie sie laufen. Ihr seid länger da als viele Journalisten, diese Wahnsinns-Chance könnt ihr ausnutzen!

Was rätst du uns sonst noch?

Meistens befasst sich deutscher Journalismus über Japan nur mit Tokyo – und es ist sinnvoll, wenn ihr dort startet. Aber es wäre gut, wenn ihr auch andere Orte entdeckt. Denn Japan ist nicht überall so wie in der Megastadt. Also: Geht auch in die ländlichen Gebiete oder in kleine Städte. Ihr seid unabhängig, das ist euer Vorteil. Damit seid ihr nicht an diese Tokyo-Fixierung der meisten deutschen Medien gebunden.

Wir haben das Gefühl, dass man aus Japan insgesamt wenig mitkriegt und die Berichterstattung in den letzten Jahren stark abgenommen hat. Deshalb wollen wir ja auch dorthin. Wie siehst du das?

Generell ist es gerade für freie Journalisten extrem schwierig, „normale“ Berichte über Japan in Deutschland unterzubringen. Deshalb gibt es dort auch so wenige freie deutsche Reporter. Die Redaktionen interessieren sich meist nur für Skurriles und Katastrophen. Besonders geärgert hat mich aber die Fukushima-Berichterstattung der deutschen Medien damals – die amerikanischen und britischen Journalisten haben in der Zeit meiner Ansicht nach wesentlich besser recherchiert.

Was hat dich konkret gestört?

In Deutschland kam es so rüber, als sei die Atom-Katastrophe das einzige gewesen, was alle Japaner beschäftigt. Tatsächlich haben Erdbeben und Tsunami die Bevölkerung viel härter getroffen. Meine Eltern denken dank der deutschen Berichte bis heute, Tokyo sei komplett verstrahlt – dabei ist die Hintergrundstrahlung in Berlin schon seit jeher höher. Mittlerweile konsumiere ich nahezu keine deutschen Nachrichten mehr über Japan.

Tokyo fotografiert von Fritz

Tokyo fotografiert von Fritz

Aber es gibt bestimmt auch Journalisten, die gute Arbeit leisten?

Klar, zum Beispiel die deutsche Journalistin Sonja Blaschke oder auch der Schweizer Jan Knüsel. Carsten Germis von der FAZ hat auch gute Arbeit geleistet, aber seit diesem Jahr hat er leider seine Korrespondenz in Tokyo beendet – nicht ohne ein Fazit zu ziehen, welches ich sehr empfehlen kann.

Was sagst du zur japanischen Sprache?

Selbst wenn man jahrelang japanisch aus Büchern gelernt hat, ist das vor Ort noch mal komplett anders. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Genau wie im Deutschen gibt es zahlreiche Dialekte und auch Slang und Jugendsprache. Dann passt man auch jeweils immer die Sprache der aktuellen Höflichkeitsstufe an. Und von den 12 000 verschiedenen Schriftzeichen ganz zu schweigen…

Ihr braucht Leute, die euch unterstützen. Aber mit ein paar Phrasen kommt man schon weit. Die Japaner wissen, wie verdammt schwer ihre eigene Sprache ist, und sie erwarten es von den meisten Ausländern auch gar nicht, dass sie es können. Um so positiver reagieren sie aber, wenn ihr sie mit ein paar Worten in der Landessprache begrüßt. Also 頑張ってください!

Wie läuft das denn so ab bei Recherchen in Japan? Unser Prinzip ist ja, sich von Person zu Person zu hangeln, so eine Art Schneeball-Recherche. Meinst du das klappt?

In Japan ist es so: Es dauert eine Weile bis man bei den Menschen einen Fuß in der Tür hat. Aber wenn der Fuß in der Tür ist, ist er drin. Von daher ist es wahrscheinlich sogar von Vorteil, dass ihr dieses Schneeballprinzip anwendet und ihr von einer Person zur nächsten verwiesen wird, und der euch dabei positiv vorstellt. Damit habt ihr den Fuß vielleicht etwas schneller in der Tür als andere Journalisten. Wichtig bei der Recherche: Ihr solltet niemals irgendwo unangemeldet auftauchen. Das empfinden die Leute als sehr unhöflich! Es ist eine ganz andere Kultur, das müsst ihr immer im Hinterkopf haben. Auch wenn euch vieles verziehen wird, die Regeln der Höflichkeit und Hierarchie sind eng und zahlreich. Jedes Mal wenn ich denke, nun hab ich es endlich verstanden, lauert dann doch wieder das nächste Fettnäpfchen an der nächsten unhöflichen Ecke.

Ich empfehle euch auch, sehr viele deutsche Mitbringsel einzupacken, vor allem Schokolade. Gastgeschenke aus, von Japan aus gesehen, exotischen und weit entfernten Ländern wie Deutschland oder der Schweiz, haben mir so manchmal Türen und Gesprächspartner öffnen können.

Was sollten wir sonst noch beachten?

Japan ist ein sehr sicheres Land. Anders, als es vermutlich in Brasilien war, müsst ihr euch keine Sorgen darum machen, dass euch etwas geklaut wird oder ihr Opfer von Gewalt werdet.

Doch übertragen auf die Gesellschaft kenne ich drastisch gesagt kaum ein andere Industrienation, welche die Gleichstellung von Mann und Frau so ignoriert wie Japan. Da ihr aus dem Westen kommt, betrifft euch das weniger, da ihr schon allein deswegen mehr Respekt erhaltet. Aber ich kenne es durchaus von japanischen Kolleginnen, die bei einem Interview nicht ernst genommen wurden, und der Gesprächspartner nur mit dem anwesenden männlichen Kollegen gesprochen hat. Das Problem ist leider sehr komplex, ich persönliche glaube auch, es mangelt einfach an weiblichen Vorbildern in Japan bzw. es wird denen keine Chance gegeben zu entstehen. Guckt euch mal das japanische Parlament an: Nicht mal zehn Prozent Frauenanteil. Peinlich für ein sonst so gut ausgebildetes und modernes Land.

Also zusammengefasst, was ist deine Erwartung an uns?

Nehmt euch Zeit für die Recherchen! Lieber weniger Geschichten und die dafür tiefgründiger.

Wenn ihr mehr über Fritz wissen wollt, dann schaut euch seine Seite an und vor allem seinen Film „Im Tal der Puppen“. Und wenn ihr uns als Reporterinnen in Japan haben wollt und wir vor Ort eure Themen recherchieren sollen, dann unterstützt unser Crowdfunding.

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Wir sind Lisa Altmeier und Steffi Fetz, deine politischen Reporter. Schick uns deine Themenideen, deine Kritik und deine Fragen!

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