„Geile Gesetze bekommt niemand mit“

Warum ist die AFD im Netz so erfolgreich? Wie hat die Digitalisierung die Politik verändert? Vor welchen Problemen steht der Politikjournalismus? Und was ist eigentlich mit der SPD passiert? Wir haben den Politikberater Martin Fuchs ausgefragt, drei Tage bevor unser politisches Crowdfunding auf Startnext endet. 

Martin Fuchs berät Regierungen, Parlamente, Parteien und Verwaltungen in digitaler Kommunikation. Außerdem bloggt er seit 2011 über Social Media in Politik und Verwaltung unter www.hamburger-wahlbeobachter.de.

Martin Fuchs berät Regierungen, Parlamente, Parteien und Verwaltungen in digitaler Kommunikation. Außerdem bloggt er seit 2011 über Social Media in Politik und Verwaltung unter www.hamburger-wahlbeobachter.de. Wir haben ihn vor drei Jahren auf einem Medienseminar über politische Protestbewegeungen kennen gelernt.

Du nennst dich ja Hamburger Wahlbeobachter, bist aber nicht nur während Wahlen aktiv. Was beobachtest du denn zwischen den Wahlen?

Ehrlich gesagt beobachte ich inzwischen gar nicht mehr so gerne Wahlen, weil der Ablauf immer ziemlich ähnlich ist. Spannender ist es, zu beobachten, wie Politiker zwischen den Wahlen versuchen in kontinuierlichen Kontakt zu den Bürgern zu kommen. Zum Beispiel per Facebook, Twitter und Snapchat. Ich würde sagen seit ca. zwei Jahren haben wir eine komplette Social Medialisierung der Politik.

Und wie schlagen sich die Politiker da so?

Also was die reine Masse angeht ist es inzwischen sehr viel geworden, aber qualitativ sehe ich einen extremen Nachholbedarf. Es reicht halt nicht die Snapchat-Technik zu verstehen, sondern man muss auch die Kultur der Nutzer und des Netzes verstehen. Und wissen wer eigentlich die Zielgruppen sind, die man erreichen will, wo die sind und wie die ticken bzw. was Bürger heute von einem Politiker erwarten.

Was erwarten sie denn?

Die Nutzer wollen keine Pressemitteilungen und gekünstelte sowie weich gespülte Aussagen lesen. Sie wollen einen persönlichen und ehrlichen Eindruck, also eine Einordnung des politischen Geschehens. Wenn zum Beispiel ein neuer Landeshaushalt verabschiedet wird, dann wollen sie von den Landtagspolitikern, dass die ihnen die wichtigsten Fakten dazu liefern und das Ganze politisch einordnen. Und natürlich kommt es gut an, wenn ein Politiker seine persönliche Seite zeigt, die Medien im wahrsten Sinne sozial nutzt.

Wer die Kultur im Netz offensichtlich gut verstanden hat, ist die AFD. Oder warum ist die online sehr viel erfolgreicher als andere Parteien?

Die AFD schafft es tatsächlich, über eine reine Facebook-Community sehr viele Leute für ihre Politik zu interessieren. Als die Partei gegründet wurde, haben die Gründer gemerkt, dass sie im Gegensatz zu den anderen Parteien den Nachteil hatten, über keinerlei Infrastruktur zu verfügen. Sie hatten keine Büros, keine Stammtische, gar nichts. Dann haben sie Facebook entdeckt, mit den Möglichkeiten der internen Gruppen, in denen man sich austauschen kann, auch wenn das eine Mitglied in Sylt und das andere in Oberammergau sitzt.

Der zweite Punkt ist, dass es für eine Partei außerhalb des Systems immer einfacher ist, andere Parteien populistisch anzugreifen. Statements der SPD müssen durch hundert Gremien gehen, bevor sie raus dürfen. Aber Konsens ist nicht sexy. Die AFD hat in dem Sinne noch gar keine Struktur, die kann viel einfacher provokante Sachen ins Netz stellen. Der Mensch, der die Facebook-Seite betreut hat absolute Narrenfreiheit. Er ist der Seismograph der Partei, kriegt die Stimmung der Unterstützer wie kein anderer direkt mit und kann daraus reaktionsschnell Positionen bauen. Das ist in anderen Parteien aufgrund der Strukturen und Hierarchien so nicht möglich.

Ein weiterer Erfolgsfaktor ist, dass klassische Medien sich lange geweigert haben, über die AFD und auch PEGIDA zu berichten. Das waren „Schmuddelkinder“, über die sprach man nicht. Dadurch hat die Partei dann einfach selbst über sich berichtet und das hat sie sehr gut gemacht. Ein Trick der AFD ist, dass sie immer klar zu den Usern sagt: „Teilt unser Posting, nur so kriegen wir Aufmerksamkeit.“ Das ist eine klare Ansage, eine konkrete Mobilisierung. „Teilen, teilen, teilen“ klingt zwar nach Kindergartenspiel, funktioniert aber.

Mal abgesehen von Social Media: Das größte Sorgenkind in der politischen Landschaft ist ja vermutlich gerade die SPD. Ist für diese Partei bis zur Bundestagswahl überhaupt noch Besserung in Sicht?

Die SPD hat das Problem, dass sie zwischen Linkspartei und CDU feststeckt. In allem was sie tut, zeigt sich eine große Unsicherheit. Die Partei kriegt einfach nicht mehr kommuniziert, was ihre Vision ist.

Aber sie arbeitet ja sicher daran, das zu ändern?

Ja, es wird wie wild alles Mögliche getan. Es gibt teure Berater, viele Kampagnen und so weiter, aber was die Partei wahrscheinlich wirklich braucht, sind zwei, drei Jahre Opposition, in der die Mitglieder und die Parteispitze einfach mal in Ruhe darüber nachdenken können: „Wofür stehen wir eigentlich?“ Bis zur Bundestagswahl werden sie das wohl nicht hinkriegen, denn an dieser Frage hängen sehr viele Lebensläufe und Jobs, also sozusagen niedere Beweggründe. Die Leute in den hohen Positionen würden mit dieser Frage zugleich ihr eigenes politisches Leben in Frage stellen. Von daher müssen sie wohl verlieren, um das einzusehen.

So ähnlich wie die FDP?

Ja, die FDP war ja nun wirklich komplett am Boden, die haben es aber inzwischen geschafft, ihre Partei stark zu verjüngen. Sie sind jetzt wieder eine liberale Stimme mit einer Mission, das hätte man 2013 so wahrscheinlich auch nicht unbedingt gedacht. Klar, ihr Wählerpotenzial ist begrenzt, das liegt bei etwa 7 bis 9 Prozent, aber das ist für eine liberale Partei in Ordnung.

Du meintest zu Beginn des Gesprächs, dass bei Wahlen immer mehr oder weniger dasselbe passiert. Kannst du das noch mal genauer erklären?

Klar ist jeder Wahlkampf anders, aber in meiner Funktion als Politikberater ist es eben so, dass bei Wahlkämpfen immer mehr oder weniger dieselben Tools genutzt werden und ein enormer Aufwand darin gesteckt wird, in kürzester Zeit Communities aufzubauen und zu erreichen. Man kann aber Leuten nicht innerhalb von drei Wochen erklären, wie wichtig Politik ist. Soziale Medien eignen sich viel besser für ständiges Campaigning, also dass man seine Politik permanent erklärt und Vertrauen aufbaut. Darin liegt ein großes Potenzial.

Nehmen Politiker die drei Wochen vor der Wahl also zu wichtig?

Da sehe ich einen Zwiespalt: Alle Studien zeigen, dass dieser Zeitraum durchaus wichtig ist, denn gerade für die unsicheren Wähler sind die letzten zwei Wochen vor der Wahl entscheidend, viel entscheidender als die 30 Wochen davor. Wenn eine Partei aus dem zwei-Wochen-System aussteigen würde, würde sie im Vergleich zu den anderen Parteien abfallen. Man kann also ruhig in den Wochen vor der Wahl ordentlich kämpfen. Was ich allerdings schwierig finde, ist diese Logik vieler Parteien: Statt einen Teil des Geldes in langfristige Kampagnen zu stecken, sparen sie den Großteil an, um es um Wahlkampf auszugeben. Und nur kurz vor der Wahl Leute überzeugen zu wollen ist zu wenig.

Fehlt Politikern da aus deiner Sicht das Verständnis?

Die einzelnen Politiker haben das auch schon häufig begriffen. Das Problem ist, dass Parteien sehr große Tanker sind. Und diese dicken Schiffe als Ganzes haben das noch nicht verstanden und für einen einzelnen Politiker ist es da teilweise sehr schwer etwas auszurichten, wenn man von einer Art Behördenapparat abhängig ist.

Wir wollen mit unseren Lesern herausfinden, was vor der Bundestagswahl noch dringend diskutiert werden sollte. Was hältst du davon?

Ich finde das sehr gut, denn Journalisten brauchen normalerweise immer einen Aufhänger, einen Anlass, um über etwas zu berichten. Und diese Denke ist zu kurz gefasst, dadurch werden spannende Dinge mit langfristigen Entwicklungen übersehen. Jetzt gerade haben die Briten für den Brexit abgestimmt, plötzlich schreiben alle über Europa und was die EU für Vorteile hat. Aber das mal langfristig in die eigene Berichterstattung einzubinden, versäumen viele Medien.

Wir haben das Gefühl, dass die Stimmung in Deutschland gerade relativ mies ist und das auch Auswirkungen auf die Bundestagswahl haben könnte. Wie siehst du das?

Durch das Aufkommen der AFD wird gezeigt, dass Leute sich schon für Politik interessieren. Sie sind aber einfach wesentlich skeptischer gegenüber den etablierten Strukturen. Erst einmal ist das Interesse an die Politik durch die Flüchtlinge gestiegen und das finde ich gut. Der Vorteil an den ganzen Diskussionen im Netz ist, dass der Unmut sichtbar wird. Früher wurde auf Stammtischen genauso geredet, aber das konnte man von außen nicht verfolgen und wahrnehmen. Jetzt hat die Politik die Chance zu reagieren, weil man dabei zusehen kann, wie sich die Stimmung verschiebt.

Aber die Debattenkultur ist gefühlt gerade schon recht unterirdisch, außerdem steigt die Zahl der linken und rechten Gewalttaten.

Klar, sowohl links als auch rechts sind die Leute aggressiver unterwegs als früher. Man muss da auch ein bisschen aufpassen: Anschläge auf Büros der AFD gehen genauso wenig wie Anschläge auf Büros der LINKEN. Die AFD hat die ganze Diskussionskultur auf ein ziemlich flaches Niveau gehievt, von dem man sich nicht anstecken lassen sollte. Wir müssen in Deutschland aufpassen, dass unsere Diskussionskultur nicht kaputt geht. Wenn zum Beispiel Bodo Ramelow Antifa-Aktivisten mit den Worten „Es kotzt mich an wie arrogant ihr seid“ beschimpft oder Peter Tauber Leute online als „Arschloch“ bezeichnet, erregt das natürlich Aufmerksamkeit. Viele Leute reagieren dann mit „Endlich sagt es mal jemand!“ und freuen sich über die klaren Worte. Ab und zu sind solche Aussagen auch richtig. Aber langfristig trägt das eben schon zu einer Verflachung und zur Steigerung der Aggressivität im politischen Diskurs bei.

Was fehlt dir denn da in der politischen Berichterstattung in Deutschland?

Natürlich findet eine Menge hochwertige Politik-Berichterstattung statt, aber das Mediennutzungsverhalten hat sich eben enorm verändert. Viele Leute folgen dieser Berichterstattung einfach nicht mehr. Dabei wäre es sehr wichtig, gerade jetzt den Menschen zu zeigen, warum wir unsere Demokratie brauchen.

Journalismus funktioniert über Schlagabtausch und Skandal, das verkauft sich gut. Ja, ich lese so was auch gerne, natürlich, aber von Politik kriegt man dadurch insgesamt immer nur mit, wenn etwas schlecht läuft. Dass jeden Tag auch geile Gesetze verabschiedet werden, die unser Leben verbessern, kommt zu kurz. Kurzum: Ich wünsche mir sowohl Positives als auch Negatives und nicht nur das Aufzeigen dessen, was schief läuft.

Viele Leute haben zum Beispiel keine Ahnung davon, wie ein Bundestagsabgeordneter überhaupt arbeitet. Ich erlebe immer wieder, dass ein Großteil der Leute nicht mal wissen, was ein Petitionsausschuss ist. Jede Partei hat partizipative Elemente, also im Prinzip kann man sich als Bürger immer auch aktiv beteiligen, ohne selbst Politiker zu sein. Demokratie ist mehr als die Rede im Bundestag, die man in der Tagesschau sieht.

Medien wird sowohl von rechter als auch von linker Seite häufig Einseitigkeit vorgeworfen. Wie siehst du das?

Das Wort Lügenpresse ist meiner Meinung nach Bullshit. Wenn man in einen Zeitungskiosk geht, findet man da von rechts nach links alles, von Junger Freiheit bis Jungle World. Das Problem ist nur, dass sich ein normaler Nutzer nicht fünf Zeitungen reinzieht.

Zeitungen brauchen eine Vision, eine Linie. Das verstehe ich auch. Aber ich würde mir wünschen, dass Meinungen, die von der Linie der Zeitungen abweichen, dort trotzdem abgebildet werden. Wenn Zeitungen zum Beispiel Europakritik komplett ausklammern, dann sucht der Nutzer sich eben ein anderes Medium, das darüber berichtet. Deshalb sollte man sich solche Kritiker auch mal an Bord holen. Damit man nicht mehr übereinander, sondern miteinander diskutiert. Die Diskussionen müssen wieder in die Medien zurückgeholt werden.

Was erwartest du von uns, wenn wir als Politik-Journalisten der Crowd unterwegs sind?

Was ich spannend fände, wären zum Beispiel Leute, die im Kleinen in ihrer Freizeit versuchen, was zu erreichen. Beispiel TTIP-Bewegung. Es gibt Leute, die nicht von Interessengruppen gesteuert sind und die einfach gesagt haben: Ich gründe jetzt eine Bürgerinitiative, denn ich will TTIP verhindern. Jeder weiß, wie Politiker irgendwelche Reden halten, aber wenige wissen, wie man sich im Kleinen politisch engagieren kann.

Und dann geht doch einfach mal zu PEGIDA und fragt: „Was wünscht ihr euch denn? Was sind denn eure Lösungsvorschläge? Was wollt ihr denn von der Presse konkret?“ Gegen etwas zu protestieren ist leicht, aber ich würde mir wünschen, dass ihr ganz konkrete Themen und Fragen auch von Leuten einsammelt, die mit klassischen Medien gar nichts mehr zu tun haben. Es gibt natürlich wissenschaftliche Betrachtungen darüber, was mit denen los ist, aber ich würde mir eine Berichterstattung von unten wünschen!

Wenn ihr ganz anderer Meinung seid als Martin, dann meldet euch gerne in den Kommentaren. Wenn ihr wollt, dass wir für euch als eure Politikjournalisten unterwegs sind, dann könnt ihr uns noch drei Tage lang bei unserem Crowdfunding unterstützen.

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