Eierproduktion ist ekelhaft. Über Nacht unter Tierschützern im Hühnerstall

Wo kommen eigentlich unsere Frühstückseier her? Es war die letzte Über-Nacht-Nacht unserer Deutschland-Tour: Ein finales Mal haben wir einen ungewöhnlichen Ort im Dunkeln aufgesucht: Wir waren mit zwei Tierschutzaktivisten in einem Hühnerstall. Irgendwo zwischen Hausfriedensbruch und Einbruch haben wir heimlich einen Legehennenbetrieb besucht. Ein Boden aus Scheiße, verfaulte Hühnerleichen neben frisch gelegten Eiern: Bodenhaltung hatten wir uns irgendwie anders vorgestellt.

Christian findet eine tote Legehenne.

Christian findet eine tote Legehenne.

Wir haben heute Morgen Frühstückseier gegessen. Jetzt ist Mitternacht und wir stehen in einem Stall mit 30.000 Hühnern und einem Tierschutzaktivisten. Der Aktivist heißt Christian und hält einen Hühnerschädel vor unsere Kamera. Draußen vor dem Stall steht seine Kollegin Ylva Schmiere. Es ist die letzte Woche unserer Deutschlandreise, die letzte Station unserer Nacht-Kolumne. Wir verbringen sie in Niedersachsen, in der Nähe von Cloppenburg.

Niedersachsen ist eines der Bundesländer mit den meisten landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland. Mehr als die Hälfte aller Hähne und Hühner für die Fleischproduktion werden hier gemästet. Laura hat uns beauftragt, uns mit Tierschutz zu beschäftigen. Und wo geht das besser als nachts im Stall? Christian und Ylva gehen heimlich in landwirtschaftliche Betriebe und filmen, unter welchen Bedingungen dort Tiere gehalten werden. Wenn die Besitzer des Betriebs schlafen gehen, beginnt für die beiden die Arbeitsnacht. Massenproduktion mit Infrarotkamerabegleitung. Heute: Eierkunde.

Noch vor ein paar Stunden standen wir mit Ylva und Christian in Ylvas Zimmer. Lagebesprechung. Ylva, 22, 1,60 groß, und Christian, 28, 1,93 groß, sehen lustig aus, wenn sie nebeneinander stehen. Ylva klappt ihren Laptop auf, und die beiden zeigen uns auf einer Karte, wie das Gebäude von oben aussieht, in das wir heute Nacht gehen werden. Einige Landwirte sagen, das, was Christian und Ylva machen, ist Einbruch. Die beiden sagen, es ist maximal Hausfriedensbruch. Die Türen zu den Ställen, in die sie gehen, stehen ohnehin offen. Ylva mustert uns: “Hat Christian euch schon vorgewarnt?“ Nee. „Da drinnen gibt es viele Milben. Also wenn hinterher alles juckt, wisst ihr, wo es herkommt.“ Unsere Vorfreude ist grenzenlos. Und wird noch größer, als Christian unsere Personalausweise einsammelt. „Jeder von uns sollte seinen Ausweis im Stall dabei haben, falls wir von der Polizei geschnappt werden.“

So dunkel ist es in dem Stall übrigens nicht nur in der Nacht. Die Hennen sehen hier kein Tageslicht.

So dunkel ist es in dem Stall übrigens nicht nur in der Nacht. Die Hennen sehen hier kein Tageslicht.

Unsere Begleiter sind seit Jahren regelmäßig nachts in geheimer Mission unterwegs. Ihre Filme und Fotos geben sie an Tierschutzvereine weiter, häufig auch an Fernsehsender. Christian und seine Kollegen haben so schon häufiger Skandale bei großen Lebensmittelherstellern aufgedeckt. Sie überprüfen, was die deutschen Veterinärämter nicht kontrollieren können oder wollen: was in deutschen Ställen wirklich passiert. Geld verdienen sie damit kaum, ihr nächtliches Berufsleben finanzieren sie sich mit Nebenjobs.

Wir sind schwarz gekleidet, damit wir unauffällig durch die Nacht fliehen können, falls uns jemand erwischt. Im Auto fahren wir zu viert Richtung Eierproduktion. Die Innenlichter im Auto klebt Christian auf einem Parkplatz kurz vor dem Ziel mit schwarzem Tape ab. Wir werden mit ihm in den Hühnerstall gehen und Ylva wird draußen Wache schieben. Die beiden geben uns letzte Verhaltenstipps: „Autotür ganz leise schließen!“ – „Falls wir auf dem Weg zum Stall jemandem begegnen, werft euch ins Gebüsch.“ – „Egal, was passiert: nicht panisch werden!“ Ok, ok. Es geht los.

Das Auto parkt am Waldrand. Wir laufen über ein matschiges Feld Richtung Hühnerstall. Wobei das Wort Hühnerstall irgendwie zu harmlos klingt. Das, was wir da aus der Ferne sehen, ist eine Massenanlage mit etwa 30 000 Hühnern, die ohne Tageslicht hier leben. Das nennt sich dann Bodenhaltung. „Ab hier nur noch flüstern!“ Ylva und Christian tragen Walkie-Talkies. Ylva hat zusätzlich ein Nachtsichtgerät. Damit sieht sie, wenn sich jemand von weitem nähert und kann Alarm geben. Über das Feld und den Wald laufen die Scheinwerferstrahlen der Autos von der Landstraße. Was, wenn uns jemand erwischt?

Wir ziehen uns die blauen Schutzanzüge und Plastik-Schuhschoner vor der Stalltür an. Damit wir keine fiesen Keime und Bakterien mit reintragen, aber auch damit wir drinnen keine einsammeln. Christian läuft einmal um den Stall, er kennt den Betrieb gut, er schaut sich hier öfter um. Eine Seitentür steht offen. Er öffnet uns von innen die Stahltür.

Aktivistenausstattung: Schutzanzug und Kopflampe.

Aktivistenausstattung: Schutzanzug und Kopflampe.

Wir gehen rein und stehen da, wo die Hühnerscheiße tagsüber ankommt und über Fließbänder in das andere Gebäude läuft. Die Hühner sehen wir zuerst nicht, nur viele Gitter. Wir laufen in einen der Gänge. Da sitzen die Hühner eng gequetscht auf drei Etagen auf Stangen. Es stinkt wahnsinnig, aber die Tiere sehen auf den ersten Blick ok aus. Tagsüber können die Legehennen auf den richtigen Boden, ein Stockwerk weiter unten, erklärt uns Christian. Vor ein paar Wochen bestand der Boden noch aus Streu. Mittlerweile hat sich der Boden aber in getrockneten Kot verwandelt. Ein Boden aus Scheiße. Als wir näher an die Hühner rangehen, sehen wir, dass an ihren Hälsen die Federn fehlen und dass sie sich gegenseitig zugekackt haben. Das ist also deutsche Bodenhaltung. „Das hier ist ein Vorzeigestall“, sagt Christian. Also einer, anhand dessen er prima vorzeigen kann, was seiner Meinung nach schief läuft bei der deutschen Tierhaltung.

Wir dachte erst, es sei ein Ast. Diesen Hühnerschädel findet Christian auf dem Boden.

Wir dachten erst, es sei ein Ast. Diesen Hühnerschädel findet Christian auf dem Boden.

Wir sehen, was er meint, als er auf ein totes Huhn deutet, das da mitten zwischen den anderen Tieren liegt. Verfault. „Das liegt da schon ne ganze Weile“, sagt Christian und drückt auf den Auslöser seiner Kamera. In unseren Mägen schaukeln die Eier vom Frühstück. Nach zehn Metern haben wir schon zwei tote Hühner gesehen. Einen Gegenstand auf dem verkackten Boden halten wir zuerst für ein Stück Ast, es ist aber der Schädel eines Huhns. Entweder die Hühnerkollegen haben den Kopf abgehackt. Oder jemand hat den Kopf einfach abgerissen. Christian fotografiert. „Das Problem ist, dass Hühner normalerweise untereinander eine Hackordnung ausfechten. Wenn sie mit so vielen anderen Hühnern zusammenleben müssen, funktioniert das nicht mehr.“ Zwölf bis 14 Monate dauert so ein Legehennen-Leben und erst wenn die Hühner unterwegs zum Schlachter sind, wird hier sauber gemacht, sagt Christian. Ein kurzes, beschissenes Leben.

Wenn Christian und Ylva die Zustände zu schlimm finden, zeigen sie die Betriebe beim Veterinäramt an. Meistens müssen die Landwirte dann eine Geldstrafe zahlen oder kriegen hygienische Auflagen verordnet. Die Aktivisten selbst haben selten Ärger mit der Polizei. Christian wurde zwar schon mehrmals von Bauern angezeigt, aber die Anzeigen wurden bisher immer fallen gelassen. Den Stall, in dem wir heute sind, kontrolliert er regelmäßig. Hier sah es schon schlimmer aus, erzählt er. Dann piepst sein Funkgerät, Ylva will von draußen wissen, ob alles ok ist. Ein Kollege von Christian wäre mal fast in einer Güllegrube ertrunken. Seitdem sind sie vorsichtiger geworden.

Nicht alle Hennen überlegen die straffe Legephase. Eigentlich müssten die Leichen aus hygienischen Gründen schnellstens etnfernt werden. Wir finden trotzdem innerhalb von kurzer Zeit acht tote Hühner.

Nicht alle Hennen überleben die straffe Legephase. Eigentlich müssten die Leichen aus hygienischen Gründen schnellstens entfernt werden. Wir finden trotzdem innerhalb von kurzer Zeit acht tote Hühner.

Christian ist das, was manche Leute radikal nennen. Er und Ylva sind Veganer, beide sind grundsätzlich gegen Tierhaltung. Auch gegen Bio-Betriebe: “Bio-Hühner leben immer noch in Gruppen mit 3000 Tieren, artgerecht ist das mit Sicherheit nicht,“ sagt Christian. „Die Ställe sind genauso unhygienisch wie in der konventionellen Haltung.“ Artgerecht ist für ihn nur, wenn Tiere einfach vor sich hin leben, ohne ausgebeutet zu werden.

Milch trinken und Eier essen, für Christian geht das gar nicht: „Vegetarier, die glauben, dass für ihre Bedürfnisse kein Tier sterben muss, machen sich was vor.“ Wenn die Hühner hier ihre Aufgabe als Eierleger erfüllt haben, werden sie Suppenhühner. Ihre männlichen Küken-Kollegen werden gleich geschreddert, 50 Millionen Küken sterben so jedes Jahr in Deutschland. Das soll zwar verboten werden, eine Lösung, was dann stattdessen mit den unbenötigten Küken passiert, hat aber im Moment noch niemand. „Ich vermute, sie werden im Ausland vergast. Wir werden auf jeden Fall beobachten, was die Betriebe mit den Küken machen.“ Christian glaubt nicht an bessere Gesetze, er glaubt nicht an eine bessere Haltung. Er glaubt nur daran, dass Menschen aufhören sollten, Tiere zu benutzen.

Diese tote Henne hatte Christian bei einem vorherigen Besuch in dem Stall fotografiert.

Diese tote Henne hatte Christian bei einem vorherigen Besuch in dem Stall fotografiert.

Christian hält gerne Vorträge über Massenproduktion. Auch um Mitternacht, umgeben von tausenden von Hühnern. Bei einer toten Henne wird er nachdenklich: „Ich denk immer, die hat es wenigstens geschafft. Durch den Tod ist sie wenigstens raus aus diesem widerlichen System.“

Nach zwei Stunden verlassen wir den Stall. Wir sind nicht schockiert, von dem, was wir gesehen haben, denn wir kannten ja die Horror-Bilder von Bauernhöfen aus Fernsehsendungen und dem Internet. Das hier war kein Stall des Schreckens. Eierproduktion ist ekelhaft, aber kein Splatter-Movie. Nein, erschreckt haben wir uns nicht, aber wir sind ernüchtert. Was eine Nacht.

Draußen treffen wir Ylva. Sie begrüßt uns mit „Ihr stinkt.“ Wir ziehen unsere Schutzanzüge aus. Um halb vier lädt Christian uns am Hauptbahnhof in Bremen ab. Er selbst musst noch ein paar Stunden fahren, bis er irgendwann daheim sein wird.

Ja, das ist nun etwas traurig, die letzte abenteuerliche Nacht ist vorbei. Die Kolumne findet ihr wie immer nicht nur hier, sondern auch auf jetzt.de von der Süddeutschen Zeitung. Vielen Dank für eure tollen Ideen! Mehr über deutsche Massentierhaltung lest ihr in unserem Buch „Nix wie Heimat!“ Unsere aktuellen Videos findet ihr hier im Blog und auf unserem Youtube-Kanal.

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