„Wer hat denn letztes Jahr Leute mit Robotern betrollt?“ Über Nacht bei jungen Hackern

Es war das erste Mal, dass wir es bei unserer Übernachtungskolumne mit so nachtaktiven Menschen zu tun hatten. Wir haben in eurem Auftrag eine Nacht bei jungen Hackern in Berlin verbracht und mussten irgendwann kapitulieren. Keiner hält so lange durch wie die Mädchen und Jungs von Jugend hackt. Warum sie im Informatikunterricht in der Schule nichts mehr lernen und welche Projekte sie entwickeln.

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Hacker Tobias kann selbst auf dem Weg zum Hostel nicht abschalten.

Den ganzen Weg vom Jugendzentrum bis zum Hotel trägt der zwölfjährige Tobias seinen Laptop aufgeklappt durch die Dunkelheit vor sich her. Den ganzen Weg lang schimpft er über sein Betriebssystem: “Das nervt mich bei Windows am meisten. Dass ich den Laptop nicht einfach zuklappen kann, weil er die ganze Zeit Updates installiert.“ Tobias ist aus Graz nach Berlin gereist. Er saß heute zum ersten Mal in seinem Leben in einem Flugzeug. Denn heute war ein besonderer Tag und jetzt beginnt eine besondere Nacht. Für ihn und 120 andere junge Hacker.

Drei Stunden zuvor: Wir kommen in einem Jugendzentrum in der Saarbrücker Straße in Berlin an. Ein großes Gewusel aus Jugendlichen, Pizzen und Laptops begrüßt uns. Viele Jungs, wenig Mädchen. Aber mehr Mädchen als wir dachten. Wir sind zu Besuch bei „Jugend hackt“, einer Veranstaltung, bei der junge Leute zwischen zwölf und achtzehn zusammen kommen, um gemeinsam zu programmieren. Organisiert wird das von der Open Knowledge Foundation, einer gemeinnützigen Organisation. Wir fanden das Projekt bei der re:publica 2014 schon spannend und haben uns wieder daran erinnert. Wir sind hier, weil Stephan uns per Twitter vorgeschlagen hatte: „Schlaft doch mal unter Hackern!“:

 

Und wenn schon mal mehr als hundert Junior-Hacker in Berlin zusammenkommen, warum dann nicht gleich bei denen übernachten? Mal sehen, ob sich diese Leute überhaupt mit uns unterhalten wollen. Sind das Eigenbrötler, deren beste Freunde Laptops sind? Oder die heimlichen Gestalter unserer Gesellschaft von morgen?

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Gregor und Max kennen sich vom letzten „Jugend hackt“: „Wer hat denn letztes Jahr Leute mit Robotern betrollt?“

Als wir reinkommen, treffen sich gerade alle vor der kleinen Bühne. Es ist Freitagabend, 20:30 Uhr. Eigentlich die beste Zeit, um sich ein bisschen warm zu trinken für eine rauschende Berliner Nacht. Die Teenager hier haben Intelligenteres zu tun und diskutieren lieber mit Frank Rieger vom Chaos Computer Club über Hackerethik: Wie verhalte ich mich, wenn ich brisante Daten in die Finger kriege? Wie kann ich meinen Freunden erklären, dass die NSA-Überwachung nicht egal ist? Wie kann ich mich davor schützen, dass Unternehmen mithilfe von Cookies mein Surfverhalten aufzeichnen?

Hacker, das sind im ursprünglichen Wortsinn Leute, die Systeme auseinandernehmen und kreativ umfunktionieren. In der Öffentlichkeit wird der Begriff oft als Synonym für „Kriminelle“ verwendet. Im Idealfall aber, erklärt Frank Rieger auf der Bühne, sind Hacker die Guten. Maria Reimer hat ihn eingeladen. Sie organisiert das Camp und verkündet nach 1,5 Stunden Ethik-Diskussion: “Jetzt habt ihr Zeit zum Rumnerden.“

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Rumnerden im Jugendzentrum

Und Tatsache, das große Rumnerden beginnt. Wir laufen zwischen den Superbrains hin und her und versuchen, uns erklären zu lassen, welche Projekte sie gerade entwickeln. Lukas und Zora wollen zusammen mit ihrem Team ein Armband herstellen, dass dich warnt, wenn dich eine Kamera überwacht. Patrice entwickelt zusammen mit ein paar anderen eine WLAN-Karte für öffentlich zugängliche WLAN-Netze. Leider verstehen wir nicht alles, weil die Hacker-Kinder ihren eigenen Jargon haben, der für uns etwa so klingt: – „Weißt du, wann ich das letzte Mal xödkjfsölkdjfasdfio verwendet habe?“ Gregor und Max ziehen sich gegenseitig auf, sie kennen sich noch von der „Jugend hackt“-Ausgabe des Vorjahres. „Wer hat denn letztes Jahr Leute mit Robotern betrollt?“

Eine Stunde später müssen alle rüber, ins Hostel. 2013 war das anders, damals waren sie nur halb so viele und haben mit ihren Schlafsäcken hier im Jugendzentrum übernachtet. Einige haben die ganze Nacht durchprogrammiert, erklären sie uns stolz. „Und wenn wir heute nicht hier bleiben dürfen, dann hacken wir halt im Hostel weiter.“ Auweia, das wird ne Nacht.

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Lukas gibt Lisa schon mal Nachhilfe

Kaum im Hostel angekommen, sind die Lobby-Ledersofas schon voll mit kleinen Professoren. Keine fünf Minuten dauert es, bis das WLAN down ist. „Können Sie den Router noch mal starten?“ – „Kann es sein, dass das WLAN oben nicht funktioniert?“ – „Wenn Sie mir sagen, wo der Router steht, kann ich ihn auch selbst neu starten.“ Die Rezeptionistin tut uns leid.

Lernt ihr in Sachen Informatik an der Schule überhaupt was, wollen wir von der Runde wissen. Und werden ausgelacht. „Unsere Lehrer wissen nicht mal, wie man Word-Dokumente so abspeichert, dass man sie auf dem Schulrechner öffnen kann.“

Einige der Hacker haben sich auch auf ihre Zimmer zurückgezogen. Zum Arbeiten natürlich. Patrice und sein Team haben ein Problem festgestellt: Ihnen fehlen Daten für ihre Projektidee. Sie müssen also schnell eine neue entwickeln. Bis vier Uhr nachts sitzen sie zusammen und brainstormen. Solange halten wir nicht durch.

Wir liegen im Bett und wünschen uns, dass wir selbst auch programmieren könnten. Am liebsten würden wir hier einen Nachhilfelehrer rekrutieren. Wir fühlen uns wie der Teil einer dummen Generation, die Dinge anwendet, ohne sie zu hinterfragen. Facebook, wie nett. Google, wie praktisch. Selbst Alternativen entwickeln? Unrealistisch und anstrengend. Diese Leute da in der Lobby werden uns mit ihrem geballten Wissen noch mal überrollen.

Am nächsten Morgen treffen wir die Jungs im Aufzug. Patrice hat einen riesigen roten Rollkoffer dabei. „Ach, fährst du heute schon nach Hause?“ – „Nee, da ist mein Equipment drin. Zwei Laptops, Bildschirm, Tastatur.“ Leider, erzählt er uns später, konnte er nicht alles mitbringen, was er mitnehmen wollte. Hat nicht in den Koffer gepasst. Seine kompletten Klamotten trägt er ebenfalls mit sich herum; in einer Umhängetasche, die etwa ein Zehntel des Koffervolumens ausmacht. Sein Team ist in dieser Nacht übrigens zu einem Ergebnis gekommen: Sie wollen einen Haustierfinder programmieren. Einen Tag später wird er fertig sein.

Dieser Text ist Teil einer wöchentlichen Kolumne, die in gekürzter Form auch hier auf jetzt.de von der Süddeutschen Zeitung erscheint. Wir sind nur noch eine Woche unterwegs. Also letzte Chance: Schickt uns weg!

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