Mit der Militärpolizei durch die Innenstadt. Eine etwas andere Stadtführung durch Salvador

Demonstranten am brasilianischen Unabhängigkeitstag. Gestern in Salvador.

Demonstranten am brasilianischen Unabhängigkeitstag. Gestern in Salvador.

Wir haben unser erstes Wochenende in Salvador verbracht. Bevor wir uns näher mit Kultur und Gegend beschäftigen, hat Leserin Julia uns dazu aufgefordert, nachzuschauen, was hier am brasilianischen Unabhängigkeitstag los ist. Der Unabhängigkeitstag war gestern, am 7. September. Brasilien feiert an diesem Tag jedes Jahr die Befreiung von der portugiesischen Besetzung. In diesem Jahr hatte der Unabhängigkeitstag aber noch eine zweite Bedeutung: Einige Brasilianer wollten die großen Proteste vom Juni dieses Jahres wieder aufleben lassen.

Zur Erinnerung: Im Juni waren hunderttausende Menschen auf die Straßen gegangen, um im ganzen Land gegen hohe Ausgaben für die Fußball-WM, die Korruption im politischen System, schlechte Schulen und Transport-Systeme zu protestieren. Seit diesen Großprotesten ist es in Brasilien zwar ruhiger auf den Straßen geworden, gerade in Rio de Janeiro haben sich aber seitdem immer wieder junge Menschen zu Demonstrationen getroffen. Denn die Regierung unter Dilma Rousseff hatte zwar ein paar Reformen angekündigt, zum Beispiel im Gesundheitswesen, bisher kommt davon aber nicht viel bei den Leuten an. Bei Demos in der Vergangenheit kam es vor allem in Rio häufiger zu Straßenschlachten zwischen Demonstranten und Militärpolizei. Zum gestrigen Unabhängigkeitstag waren auf sozialen Netzwerken die „größten Demonstrationen des Landes“ angekündigt. Hier in Salvador sollte es um 14 Uhr losgehen.

Also sind wir, nachdem wir von unserer Übergangsunterkunft nahe des Flughafens gestern hier angekommen waren, zum Campo Grande gefahren, dem Startpunkt der Demonstration.

Schon bevor wir los gingen, erreichte uns dieser Tweet aus Rio de Janeiro:

Von Demonstranten haben wir in Salvador allerdings erstmal nichts gesehen. Viel präsenter waren Kinder auf einer Riesenhüpfburg und Straßenverkäufer, die Popcorn und Zuckerwatte verkauften. Schließlich ist der Unabhängigkeitstag in erster Linie ein Feiertag, an dem sich die Bevölkerung normalerweise amüsiert.

Popcorn-Party statt Protest. Die meisten Leute in Salvador haben gefeiert und nicht demonstriert.

Popcorn-Party statt Protest. Die meisten Leute in Salvador haben gefeiert und nicht demonstriert.

Als wir genauer hingeschaut haben, sahen wir dann doch ein paar vereinzelte Personen mit Plakaten und um den Kopf geschlungenen Tüchern und Masken. Seitdem wegen der vielen Proteste vor kurzem ein Vermummungsverbot in einigen Teilen Brasiliens beschlossen wurde, haben wir den Eindruck, dass mehr Leute bei Demonstrationen Masken und Tücher tragen, um sich demonstrativ gegen dieses Gesetz zu wehren. Und: Wenn die Militärpolizei eingreift und das tut sie fast bei jeder Demonstration, sind Tücher ein guter Schutz gegen Tränengas und andere Attacken. Die Vermummung schreckt allerdings auch Menschen ab, die im Juni noch mitdemonstriert haben. Der Black Bloc, der schwarze Block, der sich hier in Brasilien in den letzten Monaten gegründet hat, wirkt bedrohlich. Nicht nur für die Militärpolizei, sondern auch für zum Beispiel ältere Menschen, die uns häufiger erzählen, dass sie sich vor den komplett in schwarz vermummten Demonstranten fürchten. Die Situation auf der Straße hat sich bei den letzten Demonstrationen, die wir verfolgt haben, immer mehr hochgeschaukelt. Die durch die Diktaturvergangenheit Brasiliens sehr stark militärisch geprägte Polizei Brasiliens kämpft teilweise mit unverhältnismäßigem Einsatz gegen Demonstranten, die wiederum damit angefangen haben, die Fensterscheiben von großen brasilianischen Banken zu zertrümmern.

Die landesweiten Ausschreitungen bei den letzten Demos hatten wir nur über die brasilianischen Medien und über Bekannte mitbekommen. Wir wollten wissen, wie die Stimmung zwischen Polizei und Demonstranten hier in Salvador ist. Unser Vermieter hat uns zuvor ausdrücklich davor gewarnt hinzugehen, es sei zu gefährlich.

Vereinzelte Protestierende: "Wo ist Amarildo?"

Vereinzelte Protestierende: „Wo ist Amarildo?“

Bevor die relativ übersichtliche Gruppe der Protestierenden losmarschierte, erzählte uns einer der Demonstranten, dass die Leute in Salvador nicht wirklich auf die Straße gehen, die Gegend sei eher konservativ geprägt. Ein anderer hielt ein Plakat hoch, auf dem stand: „Wo ist Amarildo?“, mit dem er auf den verschwundenen Familienvater aus einer Favela in Rio de Janeiro hinweisen wollte. Ein Fall, der mittlerweile in ganz Brasilien bekannt ist.

Als wir uns schon fragten, ob es in Salvador überhaupt noch eine Demonstration geben würde, liefen die mittlerweile geschätzten 300 Personen langsam los, gefolgt von ein Paar Militärpolizisten zu Pferd und einigen Militärautos. Später haben wir erfahren, dass gestern tatsächlich in mehr als 135 Städten in Brasilien Proteste stattfanden. Allerdings waren lange nicht so viele Menschen unterwegs, wie zu Zeiten des Confed-Cups.

Eine relativ bunte Truppe setzt sich in Bewegung durch die historsiche Altsatd Salvadors.

Eine relativ bunte Truppe setzt sich in Bewegung durch die historische Altstadt Salvadors.

Für uns war der Protestmarsch durch Salvador die erste richtige Begegnung mit der Stadt. Wir bekamen also quasi eine Stadtführung von Militärpolizei, Black Bloc und ein paar Anwohnern, die sich dem Protestzug angeschlossen hatten. Und anfangs wirkten die Proteste auch so friedlich, dass wir uns noch über die schönen Häuser in der Innenstadt freuen konnten. Außerdem lernten wir die Studentin Lalai kennen, die mit einer Kamera die Präsenz der Militärpolizei festhalten wollte. Wir haben uns mit ihr für die nächsten Tage verabredet, damit sie uns mehr über ihre Heimat erzählt.

Im Vorübergehen gesehen. Die schönen alten Häuser von Salvador.

Im Vorübergehen gesehen. Die schönen alten Häuser von Salvador.

Allerdings und nicht wirklich überraschend: In einem geeigneten Moment schlug die Militärpolizei zu. Etwa auf der Mitte des geplanten Demo-Weges gab es plötzlich einen lauten Knall, es rauchte überall und es kamen hunderte von Polizisten um eine Kurve gebogen: Mehrere Reihen von Helmen und Schutzschildern marschierten direkt auf dem Demonstrationszug zu. Die Demonstranten waren eingekesselt. Wir hatten etwas Sicherheitsabstand gehalten und rannten wieder einmal davon.

Die Militärpolizei, als es noch ruhig war. Die späteren Einsatzkräfte trugen schusssichere Westen.

Die Militärpolizei, als es noch ruhig war. Die späteren Einsatzkräfte trugen schusssichere Westen.

Später erfuhren wir, dass die Polizei in Brasilia (der manchmal vergessenen Hauptstadt Brasiliens) Pfefferspray gegen Journalisten einsetzte und ein Pressefotograf von einem Polizeihund gebissen wurde. In Salvador war anscheinend alles etwas kleiner als in den anderen Städten und so waren wir solchen Situationen zum Glück nicht ausgesetzt. Dennoch gab es hier eine regelrechte Straßenschlacht, Polizisten und Demonstranten prügelten sich, die umstehenden Leute liefen davon. Wer angefangen hat, war nicht zu erkennen, wir fanden den Mitteleinsatz der Polizei allerdings wieder einmal unverhältnismäßig. Unser Vermieter meinte aber heute morgen zu uns, dass gestern mal wieder nur „Vandalen“ auf der Straße gewesen wären, das seien alles Unruhestifter, deren einziges Ziel die Zerstörung sei.

Wir hatten insgesamt den Eindruck, dass die Protestkultur in Salvador lange nicht so ausgeprägt ist wie zum Beispiel in Rio de Janeiro oder Sao Paulo und dass die Menschen, die hier auf die Straße gehen, stärker als andernorts sehr linken Gruppierungen angehören. Wir haben auch weniger als sonst Plakate mit konkreten Forderungen zu Bildungs- oder Schulpolitik gesehen. Am Unabhängigkeitstag kritisierten die Demonstranten hier vor allem den Nationalismus, den die Bevölkerung an diesem Feiertag zelebriert.

Wie viele Leute gestern genau auf den Straßen in Brasilien unterwegs waren, wissen wir nicht. Die Zahlen, die uns aus Deutschland und Brasilien erreichen, sind so dermaßen unterschiedlich, dass wir euch dazu keine konkreteren Angaben machen können. Die „größten Demonstrationen des Landes“ waren es aber bestimmt nicht.

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