„Ist Lehrer wirklich so ein schlechter Job?“

In unserem Podcast haben wir euch ja schon mal von unserem Tandem-Partner Eduardo erzählt. Er ist Lehrer und da ihr ja bei der letzten Abstimmung deutlich gemacht habt, dass ihr mehr über das brasilianische Schulsystem erfahren wollt, haben wir uns mit ihm über das Bildungssystem unterhalten. Mit diesem und anderen Gesprächen bereiten wir uns auf einen Besuch an einer Schule in der nächsten Woche vor. Eduardo unterrichtet an einer privaten Schule, hat aber früher auch an öffentlichen Schulen gearbeitet.

Lehrer Eduardo

Lehrer Eduardo

Wir: Eduardo, du bist Philosophie-Lehrer an einer Privatschule. Was findest du am brasilianischen Schulsystem positiv?

Eduardo: (überlegt) Nichts. Mmmmh. Ich mag meine Kollegen und meine Arbeit macht mir im Prinzip Spaß.

Wir: Und die Schüler?

Eduardo: Die Schüler haben glaube ich nur Spaß auf dem Schulhof. Ansonsten ist das Bildungssystem nicht gut für sie.

Wir: Was findest du denn schlecht an den Schulen?

Eduardo: Unser Ausbildungssystem ist sehr zielgerichtet. Wir lernen immer auf den Abschluss, eine Art Abitur, hin. Jeder Schüler weiß, dass die Schule sehr viel Wert auf Naturwissenschaften legt. Die technischen Fächer werden viel höher gewichtet als die übrigen Fächer. In meinem letzten Schuljahr an der Schule hatte ich zum Beispiel etwa 20 Stunden Chemieunterricht und nur eine Stunde Textaufbau im Portugiesischen in der Woche. Für mich persönlich stimmt die Gewichtung nicht. Fächer wie Portugiesisch, Geschichte und Philosophie sind total unterrepräsentiert.

Wir: Wieso ist das so?

Sie sind für die Wirtschaft nicht wichtig, der Wirtschaft und damit auch der Regierung ist es viel wichtiger das jemand einen neuen Asphalt für die Straße entwickelt, als dass Leute sich tiefergehende Gedanken über die Gesellschaft und die Politik in diesem Land machen.

Wir: Was verdienen Lehrer denn so?

Eduardo: Ich verdiene 17 Real pro Stunde (umgerechnet weniger als 7 Euro) und ich unterrichte mit meinem Bachelor-Abschluss plus Lehrerqualifizierung in der höchsten Klassenstufe. Meine Mutter ist auch Lehrerin, sie hat einen hochwertigen Abschluss in Pädagogik, aber sie verdient nur 100 Real (34 Euro) im Monat mehr als ihre Kollegen mit Bachelor-Abschluss.

Wir: Unser Leser Joao hat uns geschrieben, dass Lehrer einer der schlechtesten Berufe in Brasilien ist. Wir können das gar nicht richtig glauben. Hat er recht?

Eduardo: Leider ist es genau so, ich bin mir sicher. Lehrer haben in Brasilien kaum einen Wert. Vor allem im Vergleich mit anderen Berufen. Beim Militär verdienst du als Physiotherapeut 4000 Real, als Lehrer an einer öffentlichen Schule kriegst du die Hälfte. Als Geisteswissenschaftler hast du aber kaum eine andere Möglichkeit, als als Lehrer zu arbeiten. Also entweder du wirst Philosophie-Lehrer oder du kannst das Fach Philospohie gleich vergessen.

WIr: Du hast gerade von öffentlichen Schule gesprochen. Kannst du uns erklären, was der Unterschied zu den Privatschulen ist?

Eduardo: Das ist schwierig zu erklären. Generell sind alle Schulen scheiße. Bei den öffentlichen Schulen hat man den Vorteil, dass sie kein Geld kosten, sie werden über Steuern finanziert. Die Privatschulen kosten Schulgeld und sind meistens besser als die öffentlichen Schulen. Wobei ich unbedingt erwähnen muss, dass es auch ein paar hervorragende öffentliche Schulen gibt. Aber leider zu wenige, meistens sind sie schlechter als die privaten Schulen. Wenn die Kinder fertig mit der Schule sind, gehen die reichen Kinder von der Privat-Schule auf eine öffentliche Uni, auf der man umsonst studieren kann. Die armen Kinder gehen entweder gar nicht studieren oder müssen sich für ein Studium an der privaten Uni verschulden. Das einzige, was zählt ist die Uni-Zulassungs-Prüfung und auf die bereiten einen private Schulen besser vor. Das ist ein zweitägiger Test.

Wir: In der Favela Cantagalo haben wir ein Mädchen getroffen, das mit 14 die Schule abgebrochen hat. Passiert das öfter?

Eduardo: Leider ja. Unsere Ferien sind gerade zu Ende gegangen. Gestern habe ich erfahren, dass von den 40 Schülern in meiner Klasse jetzt vier abbrechen wollen. Manche, weil sie sich selbst aufgegeben haben, weil sie gar nicht mehr mitkommen. Eine Förderung für schwache Schüler gibt es kaum. Vor allem an den öffentlichen Schulen wird jeder in die nächste Klassenstufe mitgezogen, egal wie schwach er ist. Wenn er das nicht schafft, muss er aufgeben.

Wir: Du hast uns erzählt, dass die Privatschule, an der du unterrichtest, nicht so gut ist. Warum schicken Menschen ihre Kinder trotzdem für viel Geld dahin?

Eduardo: Weil sie zwar nicht die beste ist, aber immer noch besser ist als die ganzen öffentlichen Schulen. Irgendwie kratzen die Eltern die 500 Reals Schulgeld im Monat schon zusammen.

Wir danken Eduardo für das Gespräch. Wir haben ein paar Lehrer in Rio kontaktiert, mit denen wir uns in der nächsten Woche treffen und die wir nach Möglichkeit in ihren Unterricht begleiten.

Übrigens: Falls ihr noch Lehrer aus Rio de Janeiro kennt, die gerne mit uns über ihre Arbeitssituation und das brasilianische Bildungssystem sprechen würden, dann meldet euch bei uns. Wir freuen uns über alle Hinweise, die dazu führen, dass wir ein möglichst umfassendes Bild bekommen. Mehr zum Thema Schule erfahrt ihr nächste Woche. Und falls euch spannende Fragen einfallen oder Dinge, die ihr rund um dieses Thema unbedingt erfahren wollt, sagt Bescheid.

4 Kommentare » Schreibe einen Kommentar

  1. Pingback: In einer Schule hinter Gittern | crowdspondent

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.