Wir rennen weg vorm Tränengas

Gestern waren wir mit drei Brasilianern auf der Großdemo zum Confed-Cup-Finale. Wir wollten einen ersten Eindruck von der Protestbewegung bekommen. Lange war es friedlich, dann kippte die Stimmung. Hier unser sehr subjektiver Eindruck von dem, was passiert ist.

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Kurz vorm Stadion

 

Wir begleiten Angelo, René und Kleber zum Protest gegen die brasilianische Politik. Ziel: Das Maracanã-Stadion. Das teure neue WM-Stadion, in dem Brasilien und Spanien an diesem Abend im Confed-Cup-Finale gegeneinander antreten werden. Angelo und seine Freunde basteln zu Hause Plakate gegen Homophobie und Korruption. Währenddessen sehen wir auf Twitter (Hashtags #changebrazil und #vemprarua), dass bereits viele hundert Menschen auf den Straßen sind. Als wir vor dem Haus stehen, bereit zum Losgehen, läuft Angelo noch einmal zurück: Er hat seine Regenbogenflagge vergessen.

Die Metro ist voller gelb-grüner Fußballfans, nur einer trägt ein Spanien-Trikot. Angelos Lebensgefährte René, 29, Informatiker, erzählt uns auf der Fahrt, dass ein Ticket fürs Confed-Cup-Finale auf dem Schwarzmarkt mittlerweile umgerechnet mehrere Tausend Euro kostet. „Deshalb seht ihr hier auch nur Weiße.“

Als wir an der Metro-Haltestelle ankommen, sind da schon Tausende von Menschen. Sie singen, lachen, strecken ihre Plakate in die Luft: „Wer gewinnt bei dieser WM?“ fragen sie. „Fickt die WM,“ singen sie. „Wir wollen Bildung, ein ordentliches Gesundheitssystem und uns ist total egal, wer heute gewinnt,“ stimmt Angelo mit ein. Ein paar Leute sind bunt geschminkt, andere tragen Anonymous-Masken, viele haben die brasilianische Flagge dabei. Einige zücken zwar ihr Smartphone, aber das Netz funktioniert die meiste Zeit nicht.

Die Menge zieht los, mehr und mehr Menschen schließen sich an. „Vem pra rua, vem“ (Kommt auf die Straße, kommt) und „Wer für uns ist, blinkt“ rufen sie denjenigen zu, die das Spektakel von ihren Wohnzimmerfenstern aus beobachten. Manche der Leute knipsen ihre Lampen an und aus und wieder an, um ihre Solidarität zu zeigen.

Wir laufen in Richtung Stadion. Die Polizei hat den direkten Zugang längst weiträumig gesperrt. Rein kommt nur noch, wer ein Ticket fürs Finale hat. An den Zugangsstraßen stehen sie in mehreren Reihen hintereinander, mit Helm, Schutzpanzer und Schlagstock. Der Protestzug schlängelt sich weiter. An einer der Straßen zum Stadion, gegenüber einer Tankstelle, sammeln sich die Demonstranten.

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Angelo, René und Kleber rufen und singen noch einige Minuten in der ersten Reihe, fragen, ob sie nicht doch vorbei könnten. Die Polizisten ignorieren das Geschehen. Dann wollen die Männer mit der Regenbogenflagge plötzlich nach Hause. „Ich habe keine Lust, geschlagen zu werden,“ sagt Angelo.

Wir wollen noch nicht gehen, sondern mitbekommen, was passiert. Im brasilianischen Fernsehen wird es nachher nicht viel davon zu sehen geben. Auf der anderen Straßenseite, bei der Tankstelle, treffen wir einen Freund. „Wir haben gerade überlegt, wo wir hin laufen, falls es brenzlig wird,“ sagt Sebastian zu uns. „Und?“ „Hier links runter käme man wahrscheinlich am besten raus.“ In dem Moment gibt es einen lauten Knall, die Menschen um uns rennen, Tränengas steigt hoch.

Was genau passiert ist in der ersten Reihe, haben wir nicht gesehen. Als wir wenige Minuten vorher dort ganz vorne standen, waren die Demonstranten laut, aber friedlich. Hat einer von ihnen provoziert? Oder hat die Polizei grundlos begonnen, die Masse zu attackieren? Gerade eben standen sie sich noch ganz ruhig gegenüber. Wir können niemanden fragen, wir können nur noch rennen. Wir laufen links runter, weg von den Polizisten, weg vom Tränengas. Laufen fünfzig Meter, hundert, verlieren Sebastian. Immer neue Rauchschwaden gehen in die Luft, hinter uns knallt es mehrmals. Als wir raus aus dem Chaos sind, kommen wir an einer Imbissbude vorbei. Die Gäste schauen auf zwei Flachbildschirmen die Eröffnungszeremonie für das Finale. Das Spiel beginnt. Brasilien wird gewinnen.

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